Es beginnt mit einem Aperitif zum Aufwärmen. Danach folgen mindestens eine Vorspeise, mindestens eine Hauptspeise, Käse und Dessert. Währenddessen wird getratscht, gestritten und über die Regierung geschimpft. Zum Abschluss gibt es Likör oder Cognac. Und wer dann noch bei Kräften ist, hilft beim Tischabräumen.
So ungefähr läuft es ab, wenn sich eine französische Familie zu einem Festessen trifft. Unter drei, vier Stunden lässt sich so ein Event nicht absolvieren. Das gemeinsame Schmausen ist eine schöne Tradition und jedenfalls viel netter, als miteinander schnell ein paar Wurstsemmeln hinunterzuwürgen. Aber stellt die Völlerei der Franzosen deshalb schon ein schützenswertes Kulturgut dar?
Ja, findet die Unesco und ernannte die „französische Speisefolge“ vor Kurzem
zum „immateriellen Kulturerbe“. Ebenfalls auf der Liste stehen nun unter anderem
der spanische Flamenco, die chinesische Akupunktur, die iranische
Teppichknüpfkunst sowie die Falknerei, für die sich gleich mehrere Länder
verantwortlich fühlen. Eine Liste mit besonders bedrohten Künsten führt die
Unesco nebenbei auch noch. Darauf findet sich Exotisches wie die südchinesische
Dschunkenbautechnik, die angeblich nur noch von drei Menschen beherrscht wird,
und das Festival „Meshrep“ der uigurischen Minderheit in China, das leider wegen
der Industrialisierung nicht mehr ganz den früheren Stellenwert einnehme, wie es
heißt.
Ojikanje-Kehlgesang. Nicht weniger als 47
Kulturgüter wurden bei der diesjährigen Unesco-Konferenz in Nairobi als
schützenswert definiert. Insgesamt hält die Organisation bei 213 angeblich
wertvollen Traditionen, die für kommende Generationen erhalten werden sollen.
Geht es in diesem Tempo weiter, wird das immaterielle Erbe bald ziemlich
unübersichtlich werden. Außerdem stellt sich die Frage, ob manche Bräuche,
Handwerkskünste und Folkloreveranstaltungen nicht vielleicht zu Recht in
Vergessenheit geraten. Wenn, nur als Beispiel, der „Ojikanje-Kehlgesang“ aus dem
dalmatischen Hinterland kaum noch gepflegt wird, könnte das auch daran liegen,
dass ihn keiner mehr hören will.
Aber das sind Spitzfindigkeiten, mit denen sich eine internationale Organisation nicht beschäftigen kann. Maria Walcher, mit vollem Titel „Leiterin der Nationalagentur für das immaterielle Kulturerbe der österreichischen Unesco-Kommission“, plädiert für eine andere Sichtweise. Es gehe nicht darum, Bräuche zu konservieren wie ein Denkmal. „Wichtig ist, dass wir Dinge sichtbar machen und Aufmerksamkeit schaffen.“ Bis 31.12. läuft die Frist für österreichische Brauchtumspfleger, die wenigstens auf die nationale Liste kommen möchten. Am 31. März wird dann in Paris entschieden, ob endlich auch ein paar heimische Beiträge den internationalen Segen erhalten. Nominiert sind die Spanische Hofreitschule, der Imster Schemenlauf und, wieder einmal, die Falknerei. Walcher ist zuversichtlich: „Wir werden beim nächsten Mal sicher bevorzugt behandelt, weil Österreich noch nicht auf der Liste steht.“
Im Rahmen ihrer Tätigkeit habe sie ihren Kulturbegriff enorm erweitern
müssen, erzählt Walcher. „Es ist unglaublich, was es allein in Österreich alles
gibt, von dem die meisten gar nichts wissen.“ Ein Blick auf das heimische
Kulturerbe bestätigt diesen Eindruck. Neben den üblichen Verdächtigen wie
Sternsingern, Trachtengruppen und Handwerkern gibt es auch allerhand
Überraschendes. Die Kurapotheke Bad Ischl etwa hat sich mit „apothekeneigenen
Hausspezialitäten“ verewigt. Der Salzburger Rangglerverband macht Werbung für
das „Hundstoa-Ranggeln“, die angeblich älteste Sportart im Alpenraum, die ihren
Ursprung in den friedlichen Raufereien der Senner hat. Außerdem im Angebot: der
Wiener Dudler, eine Hauptstadtvariante des Jodelns, sowie der
niederösterreichische „Verein für gegenseitige Hilfeleistung bei Brandfällen“.
Ein paar selbstbewusste Tiroler schafften es, die Ötztaler Mundart als
Kulturerbe zu verankern. Für andere Talschaften mit urigen Dialekten wird das
hoffentlich ein Ansporn sein, ihre knackenden Kehllaute nicht länger für sich zu
behalten.
Bewerbung und Expertise. Die Auflistung von
Kunstfertigkeiten mag zufällig wirken, doch sie ist das Ergebnis umfangreicher
Prüfungen. Wer bei der Nationalagentur Gehör finden will, muss ein
Bewerbungsformular ausfüllen und zwei Expertenbeurteilungen beisteuern.
Entschieden wird von einem Fachsenat, der zweimal jährlich tagt und die für
Österreich typische Zusammensetzung aufweist: zehn Fachleute, fünf Abgesandte
aus der Politik – und neun Vertreter der Bundesländer. Der Föderalismus gehört
ja schließlich auch zum kulturellen Erbe.
BUNTES ERBE
213
Bräuche, Traditionen und Handwerkstechniken hat die
Unesco bereits als immaterielles Kulturerbe qualifiziert. Bei der letzten
Delegiertensitzung Mitte November in Nairobi kamen 47 neue dazu. Die Liste
basiert auf einer 2003 verabschiedeten Konvention und soll altes Kulturgut vor
dem Vergessen schützen.
30
sogenannte „Elemente“ hat die Österreichische
Unesco-Kommission bisher als nationales Kulturerbe ausgewiesen. Für die
internationale Liste nominiert wurden die Spanische Hofreitschule, die Falknerei
und der Imster Schemenlauf.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2010)