Im Vergleich mit Leo Toller klingt selbst ein Oberpfälzer wie ein
Norddeutscher. „An pauer is gongen anaus en velt pet en sai‘ su‘ za
schaung benn der boaz raif ist”, zitiert er den Anfang eines
Gedichts, das auf Hochdeutsch mit den Worten beginnt: „Einmal ging
ein Bauer mit seinem Sohn ins Feld, um nachzusehen, ob der Weizen
reif war.” Toller spricht die Mundart des Fersentals, die sich aus
dem Mittelhochbairischen entwickelt hat - dem Bairisch des
Mittelalters. Auf Einladung des Bayerischen Zimbernkuratoriums
berichteten er und Luigi Nicolussi, ebenfalls Bewohner einer
urbairischen Sprachinsel in der oberitalienischen Provinz Trient,
über Alltag und Probleme als Minderheit.
Das Hauptproblem ist beiden Sprachinseln gemein: Sie werden immer
kleiner. Noch beherrschen im Fersental etwa 1000 Menschen den alten
Dialekt, doch im Alltag verschwindet er immer mehr. „Die
traditionelle Landwirtschaft hat die Sprache am Leben gehalten, weil
man im Tal gewohnt und gearbeitet hat. Aber heutzutage müssen viele
zum Arbeiten wegpendeln und können tagsüber nicht mehr
Fersentalerisch sprechen”, berichtet Toller im Gespräch mit dieser
Zeitung. Was dem Sprachwissenschaftler aber vor allem Sorgen
bereitet, ist, dass der Dialekt und das Hochdeutsche bei jungen
Menschen eine immer kleinere Rolle spielen. Letzteres werde zwar in
der Volksschule des Tals gelehrt - aber als Fremd- und nicht als
Unterrichtssprache.
Luigi Nicolussi, Bürgermeister der Sprachinsel-Gemeinde Lusern,
blickt weit in die Vergangenheit zurück, um das Schrumpfen des
ebenfalls aufs Bairische zurückgehende Zimbrisch seiner Region zu
erklären. Sprachen im 18. Jahrhundert in der Gegend noch etwa 20 000
Menschen den Dialekt, sind es heute nur noch einige hundert; gerade
mal drei Kinder besuchen noch die örtliche Grundschule. Laut
Nicolussi unter anderem Folge „wahren Psychoterrors”: So habe zu
Beginn des 19. Jahrhunderts der Pfarrer eines nahen Ortes „den
Eltern im Beichtstuhl auferlegt, mit den Kindern nicht mehr diese
Sprache der Barbaren zu sprechen”. Hundert Jahre später habe ein
anderer Geistlicher den Kindern im Unterricht mit der Hölle gedroht,
sollten sie „die hässliche Sprache” gebrauchen.
Mit derartigen Anfeindungen haben die italienischen Bayern nach
Auskunft von Toller heutzutage nicht mehr zu kämpfen. Auch
Unverständnis für ihr Festhalten an den bairischen Sprachwurzeln
bekämen sie nicht zu spüren, berichtet der Sprachforscher, was aber
auch daran liegen könne, dass ihre Traditionspflege in Italien
weitgehend unbemerkt bleibt. Kaum ein Landsmann scheint sich je in
Tollers Heimat zu verirren. „ Im Fersental”, meint er, „sind nur
Fersentaler”. |