Warum tun wir Bayern uns so schwer zu unserer angestammten Sprache zu stehen?

 

Dieser Frage bin ich in den letzten Jahren immer wieder nachgegangen. Seit ich den Vortrag von Prof. Reinhard Wittmann „Wie der bayerische Seppl entstand“ kenne, weiß ich, dass sich ein bayerischer Minderwertigkeitskomplex über Jahrhunderte hinweg als scheinbar unausrottbar festsetzen konnte.

Waren es seit dem 16.Jahrhundert Literaten aus dem Norden, die das Klischee vom geistig minderbemittelten Naturvolk wider besseres Wissen in die Welt setzten, so trug auch die jeweilige bayerische Obrigkeit ihren Teil dazu bei, dass ein kulturelles, geschweige denn ein sprachkulturelles Selbstbewusstsein erst gar nicht aufkommen konnte.

Ein bairischer Bischof, der im 18:Jahrhundert einen Pfarrer maßregelte, weil er in schriftlicher Form das lutherische „e“ verwendet und mundartliche Lieder zugelassen hatte, das spricht Bände.

Da bedeutet es schon einen großen Fortschritt, wenn am Heiligen Abend 2005 um 19Uhr im Bayerischen Fernsehen der Domkapitular a.D. aus Passau, Prälat Max Huber, wieder sein Weihnachtsevangelium auf Bairisch vortragen wird, mit der Begründung: „Des muaß dalaubt sa! Denn das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt ----- und hat Dialekt gesprochen. Der Herr Jesus hod Aramäisch gredt und des is des Mittelbairisch vo damals und dort gwen!“ Der Huber Max hält sich übrigens streng an die Theologie, stellt die österliche Botschaft vor die weihnachtliche und hat es nicht wie Ludwig Thoma nötig, Bethlehem ins Oberland zu verlegen.

 

König Max holte zu allem Überfluß preußische Wissenschaftler und Literaten wie Paul Heyse und hofierte sie bei wöchentlichen Zusammenkünften. Sie dankten es ihm wenig und machten sich über ihn lustig. Die Auswirkung auf bayerische Geistesgrößen war, dass man sich minderwertig fühlte und kitschige Literatur produzierte, die nur so von animalischer, krachlederner Selbstgefälligkeit strotzte und die schlimmsten Klischees bediente.

 

Eine himmelschreiende Parallele dazu im demokratischen Freistaat anno 2005: Die Bayerische Staatsregierung hat an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften an die Spitze der Mundartkommission, die über die personelle Besetzung des Redaktionsteams für die Erstellung des Bairischen Wörterbuchs entscheidet, drei emeritierte norddeutsche Professoren gestellt, die von der bairischen Dialektologie nicht die geringste Ahnung haben, wohl aber Spezialisten für persische Keilschrift sind --- und das auf diesem sensiblen Gebiet!

 

Weshalb uns die Österreicher in puncto Sprachbewusstsein um Längen voraus sind, liegt auch im Jahr 1963 begründet, als Bayern aus dem gemeinsamen Projekt „Bairisches Wörterbuch“ ausstieg und sich erst 1989 wieder an die sprachkonservatorische Arbeit machte.

Der Auftritt des Schlierseer Bauerntheaters im Jahr 1900 in Berlin unter dem Programmpunkt „Völkerschau aus Bayern“ (im Anschluß an barbusige Hottentotten) zum schenkelklatschenden Vergnügen von Kaiser Wilhelm hat anscheinend in den Köpfen heute noch seine nachhaltige Wirkung.

Geij Bou, dasd fei schee schmaadzd!“, gab 1934 die Mutter dem Fendl Sepp am ersten Schultag mit auf den Weg nach Schwarzach. Daß der Dialekt als unschön zu gelten hatte, das hatten die totalitären Herrscher sich auf die Fahnen geschrieben: kulturelle Gleichschaltung bedeutete auch sprachliche Gleichschaltung --- und wie sieht es heute im demokratischen Musterland aus?.

Nach dem Krieg gab es dann eine fast inflationäre Welle von klischeehaften Heimatfilmen, unter der Regie von norddeutschen Regisseuren, die Schauspielern wie Beppo Brem und Toni Berger ein furchtbar gestelztes Bairisch aufzwängten.

Toni Berger in einem Interview nach einem Filmarchivbrand: “Ich bin direkt froh, dass diese Filme verbrannt sind. Wennsd bloß dran denkst, obsd am nächstn Tag was zum Beißn hast, na is dir de Qualität wurscht!

 

Während des Wirtschaftsaufschwungs war kein Platz für sprachkulturelle Themen neben Hula-Hoop-Reifen, Petticoats und Nierentischen. Als schließlich die Sprachbarrieren-Diskussion kam, war die Mundartforschung weder positioniert noch munitioniert.

In den Medien war die Zeit auch noch nicht reif um eine Lanze für die Mundarten zu brechen.

So begleitete Hermann Unterstöger bereits im Jahr 1992 den Explorator für den oberbayerischen Sprachatlas, Bernhard Stör, ganze zwei Tage ---- ein Artikel wurde aber nicht genehmigt.

Wie sich manche Medien um die Schwindsucht des Bairischen anno 2005 kümmern, das sind geradezu paradiesische Zustände aus dialektschützerischer Sicht..

In der liberalsten Informationsgesellschaft auf deutschem Boden ist es ein Rätsel, wieso sich das Vorurteil von den Dialekten als verkommene Hochsprache bis heute derart hartnäckig halten konnte. Vielleicht hätte es in den sechziger Jahren neben einem Oswald Kolle auch eines dialektalen Aufklärers bedurft!

 

Daß ausgerechnet ein Lehrerverbandsfunktionär (als Mathematiklehrer darf er mildernde Umstände geltend machen) bei dialektsprechenden Schülern Defizite in der Sprachkompetenz sieht, lässt einen noch höheren Aufklärungsbedarf vermuten. So manchem Akademiker stünde es gut an, sich dem Thema Dialekt etwas unverkrampfter und wissenschaftlicher zu nähern.

Der Sprachwissenschaftler und Bezirksheimatpfleger der Oberpfalz, Dr. Franz-Xaver Scheuerer, wies 2002 in einem Vortrag darauf hin, dass jeder Bayerwalddialekt über eigenständige regelhafte Strukturen verfügt. Wenn man für einen beliebigen Ortsdialekt eine verbindliche Orthographie und Grammatik erstellte, so hätte man nichts anderes getan als die Niederländer mit einem westfriesischen Dialekt: bekanntlich ist Holländisch heute eine weltweit anerkannte Sprache.

Mit ideologiefreier Aufklärung bis in das letzte Klassenzimmer, besonders aber in den letzten Kindergartengruppenraum hinein ist man auf dem richtigen Weg. Erst wenn es zum all-gemeinen Bildungsstand gehört, dass Deutsch eine plurizentralisische Sprache ist, dass es mehrere gültige Varietäten des Deutschen gibt und sich die Standardsprache als Kompromiß aus den Dialekten erst entwickelt hat, dann wird die Akzeptanz der Mundarten auch wieder steigen. Als selbstverständliche Bereicherung neben der Standardsprache, als das Normalste auf der Welt, nicht als exotisches Folkloreanhängsel könnten sie überleben.

 

Das EU-Projekt „Zweisprachigkeit im Kindergarten, das in Norddeutschland seit vier Jahren mit Plattdeutsch und Sorbisch erfolgreich praktiziert wird sollte deutschlandweit zum Erfolgsmodell gemacht werden: „Wenn d Leit wieda ofangand zon nachdenga, na deng ma uns nix!“(Mühlhiasl).

 

Sepp Obermeier

Gossersdorf, 13. Nov. 2005