Herzog Tassilo III.
Gedächtnistag: 11. Dezember

Tassilo wird um 740 als Sohn des bayerischen Herzogs Odilo und seiner Gattin Hiltrud geboren. Er stirbt an einem 11. Dezember nach 794. Signum seiner knapp 40-jährigen Herrschaft ist der zuletzt gescheiterte Versuch, die Unabhängigkeit Bayerns gegen den Machtanspruch der fränkischen Könige Pippin und Karl zu behaupten.

Eine zuverlässige Vita des letzten Agilolfingerherzog in Bayern haben wir nicht. Die Forschung ist darauf angewiesen, den biographischen Hintergrund aus verstreuten Quellen zusammenzutragen und mühsam zu rekonstruieren. Erschwerend kommt hinzu, daß nahezu alles, was wir über die Lebensumstände, das Wirken und die Persönlichkeit des letzten Agilolfingerherzogs in Bayern erfahren, durch den parteiischen Blick fränkischer oder zumindest frankenfreundlicher Geschichtsschreiber auf uns gekommen ist. Alle bayrischen Quellen, darunter eine lediglich aus zweiter Hand belegte Vita Tassilonis, gingen verloren. Die große Zahl einseitig verklärender oder einseitig verdammender Darstellungen baut insgesamt auf unsicherem Boden. Vor allem ältere Schriften dürfen aus heutiger Sicht nur mit größter Vorsicht herangezogen werden.

Neuere Arbeiten machen das Jahr 741/742 als Geburtsjahr und die herzogliche Pfalz in Regensburg (Radaspona) als Geburtsort wahrscheinlich. Über die Mutter bestehen enge Familienbande zu den fränkischen Hausmeiern : Hiltrud ist die Tochter Karl Martells und damit die Schwester seiner Söhne Pippin und Karlmann . Dadurch ist Tassilo ein Neffe des späteren Frankenkönigs Pippin und der Cousin Karls des Großen (siehe Stammtafel ).

Bis auf wenige marginale Erwähnungen fehlen Nachrichten über Kindheit und Erziehung des jungen Herzogs. Als sein Vater Odilo im Januar 748 stirbt, ist Tassilo nominell Herzog und seine Mutter Hiltrud übernimmt die Vormundschaft. Grifo , ein Sohn Karl Martells aus zweiter Ehe mit der Agilolfingerin Swanahild und damit Halbbruder Hiltruds, Pippins und Karlmanns nützt die vermeintlich günstige Gelegenheit: er marschiert in Bayern ein und bemächtigt sich des Herzogtums. An der Spitze eines Heeres eilt Pippin nach Bayern, nimmt Grifo gefangen und setzt seinen Neffen Tassilo wieder als Herzog ein. Als Hiltrud 754 stirbt, übernimmt Pippin, seit 751 gesalbter König der Franken, die Vormundschaft über Tassilo.
In den folgenden Jahren setzt Pippin alles daran, den minderjährigen Bayernherzog unter seine Herrschaft zu zwingen. 755 findet sich Tassilo auf dem "Maitag", der fränkischen Reichsversammlung, ein.

756 nimmt er an einem Feldzug gegen die Langobarden teil. 757 wird der Herzog in Compiègne für mündig erklärt und leistet seinem Onkel einen Eid , dessen Rechtscharakter nur schwer greifbar ist. 763 folgt Tassilo dem Aufruf zu einem fränkischen Feldzug gegen die Aquitanier, die mit seinem Vater Odilo verbündet waren. Zunächst reiht er sich mit seinen bayerischen Truppen ins Frankenheer ein, entfernt sich jedoch später unter dem Vorwand einer Krankheit eigenmächtig und kehrt nach Bayern zurück. Erzürnt erwägt Pippin einen Rachefeldzug gegen Bayern, wird aber vom aquitanischen Kriegsgeschehen daran gehindert, den fränkischen Machtanspruch in Bayern durchzusetzen. Bis zum Tod des Frankenkönigs (768) kann der junge Herzog seine Stellung ungehindert ausbauen.

Zwischen 763 und 772 entfaltet Tassilo eine eigenmächtige Herrschaft. Zahlreiche Urkunden belegen in der Titulatur des Herzogs ein königsgleiches Selbstbewußtsein: Bayern erscheint als regnum , die Amtsgeschäfte als regnare . Tassilo nennt sich einen vir illuster oder princeps und datiert nach eigenen Herrscherjahren. Sein hohes Selbstverständnis illustriert augenfällig die Inschrift auf dem berühmten Tassilokelch . Sie lautet: TASSILO DVX FORTIS LIUTPIRC VIRGA REGALIS (Tassilo, der tapfere, mächtige Herzog, Liutpirg aus königlichem Stamm).

Es gelingt ihm, den Regensburger Hof zu einem kulturellen und zivilisatorischen Zentrum auszubauen, das Künstler und Gelehrte anzieht. Die Scriptorien der bayerischen Klöster machen sich um theologische Bildung und die Aneignung des geistigen Gutes der Antike und des frühen Christentums verdient, wobei vor allem die Schreibschulen von St. Emmeram (Regensburg) und Salzburg einen weithin strahlenden Namen haben. Zudem fordert Tassilo die bayerischen Bischöfe auf, an ihren Kirchen Schulen einzurichten. Im Umfeld des Herzogs entstehen hochrangige Werke der Buch- und Goldschmiedekunst, wie der in Kremsmünster aufbewahrte Tassilokelch und die Tassiloleuchter beweisen.

Wann Tassilo Luitberga , die Tochter des Langobardenkönigs Desiderius heiratet, ist nicht bekannt. Als wahrscheinlichstes Jahr der Eheschließung wird 769 angenommen. Welche Absichten sich mit dieser Ehe verbanden, liegt auf der Hand: das Bündnis mit den Herren Norditaliens soll seine Bemühungen um ein autarkes Herzogtum stärken.

772 steht der Herzog im Zenit seiner Macht: er nimmt Kärnten als Anhängsel Bayerns in Besitz; sein Sohn Theodo wird von Papst Hadrian I. getauft und gesalbt, womit nach frühmittelalterlichem Verständnis eine Art geistlicher Paten- und Verwandtschaft einhergeht.

In den Jahren zwischen 760 und 780 baut Tassilo, darin Nachfolger der Politik Herzog Theodos seine Hausmacht durch eine Reihe großzügiger Klostergründungen und Stiftungen aus. Insgesamt 16 Gründungen werden ihm zugeschrieben, als zweifelsfrei gesichert gelten allerdings vier: Innichen (769) Kremsmünster (777), Mattsee, Niedernburg. Daß Tassilo aufgrund einer Vision das Kloster Wessobrunn gegründet habe, bleibt fromme Legende .

Der Niedergang des Herzogs setzt leise und zunächst unmerklich ein: 768 stirbt Pippin, dem seine Söhne Karlmann und Karl auf den Frankenthron folgen. Nach dem Tode Karlmanns (771) ist Karl Alleinherrscher. Thüringen, Hessen, Alemannien und die Rheinlande sind fest in die fränkische Reichsorganisation eingegliedert. Nur das Herzogtum Bayern (zwischen Donau, Enns und Lech) hat sich der fränkischen Oberhoheit praktisch vollständig entzogen. Nun schickt sich Karl an, die alte, wenngleich nirgends rechtlich verankerte Dominanz wiederherzustellen. Zunächst aber hält ihn der Kampf gegen die Sachsen von einer Regelung der Angelegenheiten in Bayern und Italien ab.

774 kommt der Kirchenstaat durch Übergriffe der Langobarden in Bedrängnis. Karl leistet einem Hilferuf des Papstes Folge. Er marschiert in Pavia ein, wo er Desiderius unterwirft und sich sich die Eiserne Krone der Langobarden aufs Haupt setzt. Mit der Niederlage seines Schwiegervaters und dem fortan engen Bündnis zwischen Papst und Frankenreich ist Tassilo außenpolitisch seiner letzten Stützen beraubt. Aber auch im Herzogtum mehren sich die Krisenzeichen: Um Bischof Arbeo von Freising sammelt sich eine zunehmend größere Schar karolingerfreundlicher, oppositioneller Adliger in Bayern. 781 wird die Tragweite des Bündnisses zwischen Karl und dem Papst in Rom offensichtlich: Als Tassilo den Papst bittet, zwischen ihm und Karl zu vermitteln, wird er von Hadrian aufgefordert, die Eide von Compiègne zu erfüllen. De facto läuft diese Empfehlung auf den dringlichen Rat einer Unterwerfung Bayerns hinaus. Jeglicher Deckung entblößt, hat Tassilo keine Wahl: im selben Jahr noch folgt er der Ladung zum Hoftag in Worms, wo er die einst seinem Onkel Pippin geleisteten Eide erneuert und zwölf Geiseln stellt.

Trotz dieser Sicherheitsleistungen nehmen die Spannungen weiter zu. Quellen berichten von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen bayerischen und fränkischen Truppen entlang der Südgrenze des Herzogtums. Als Tassilo 787 erneut den Papst als Vermittler anruft, stellt sich Hadrian entschiedener als sechs Jahre zuvor auf die Seite Karls und erklärt abermals die Eide von Compiège für verbindlich. Bei Nichterfüllung droht Hadrian den Bann an und billigt im Vorhinein ausdrücklich jede militärische Aktion gegen Bayern, die aufgrund der Unbotmäßigkeit des Bayernherzogs nötig werden sollte. Ein zweites Mal bestellt Karl seinen Vetter Tassilo nach Worms ein. Als der Herzog jedoch diesmal den Gehorsam verweigert, setzt Karl drei fränkische Heere in Marsch, die an den Lech, zur Donau und gegen Tirol vorstoßen.

Bevor es zum Kampf kommt, lenkt Tassilo ein. Er unterwirft sich und erneuert am 3. Oktober 787 seinen Vasalleneid auf dem Lechfeld nahe Augsburg.

Mit der Übergabe seines Herzogsstabes huldigt Tassilo dem König und erhält Bayern als Lehen zurück. Unter den dreizehn Geiseln, die er stellt, ist sein Sohn Theodo. 788 ist das Ende gekommen. Tassilo folgt mit seiner Familie und großem Gefolge einer Ladung nach Ingelheim, wo bayrische Adlige eine scharfe Anklage gegen den Herzog erheben: Er habe sich schlecht gegen Vasallen des Königs betragen und mit den Awaren verschworen. Eigentlicher Anklagepunkt ist aber nicht das unbelegtes Bündnis mit den Awaren, sondern die Entfernung aus dem Feldlager Pippins im Jahre 763. Da der Hoftag diesen Vorfall als Harisliz (Fahnenflucht) interpretiert, wird Tassilo zum Tode verurteilt.

Aus Rücksicht auf die verwandtschaftlichen Beziehungen wandelt Karl das Todesurteil in ein Verbannungsurteil um. Tassilo wird zur Buße im Kloster Jumièges eingeschlossen, seine Frau und seine Kinder werden einzeln in verschiedenen Reichsklöstern verwahrt. Karl selbst zieht in Regensburg ein, schafft das Herzogtum ab, verbannt die Anhänger Tassilos und stellt Bayern unter die Verwaltung seines alemanischen Vetters Gerold , der als Praefectus Baivariae herrscht.

794 wird Tassilo auf der Reichsversammlung von Frankfurt erneut aus der Klosterhaft vorgeführt. Hintergrund ist ein in Bayern ausgebrochener, jedoch hauptsächlich von Franken getragener Aufstand gegen die Karolingerdynastie in Bayern. Tassilo wird gezwungen in Gegenwart der Großen des Reichs und des päpstlichen Gesandten auf jeden Rechtsanspruch an Bayern und jeden Eigenbesitz ein für alle mal zu verzichten. Er gesteht alle Anschuldigungen ein, bittet um Verzeihung und leistet den geforderten Verzichtseid. Damit ist das bayerische Stammesherzogtum der Agilolfinger endgültig erloschen und Bayern samt Kärnten dem Frankenreich einverleibt.

Über das weitere Schicksal des abgesetzten Herzogs fehlt jede sichere Nachricht. Wo und in welchem Jahr Tassilo gestorben ist, bleibt trotz vielfältigster Anstrengungen unbekannt. Gewiß ist nur der Todestag an einem 11. Dezember, der noch heute vielerorts, vor allem in Klöstern, wie etwa in Kremsmünster als Gedächtnistag feierlich begangen wird.

In der Folgezeit steigt Regensburg mit dem kirchlichen Zentrum St. Emmeram zu einem Stützpunkt der karolingischen Macht in Bayern auf. 798 wird Salzburg unter Bischof Arn zum Erzbistum erhoben und hat damit die Oberhoheit über die Diözesen Säben, Regensburg, Freising und Passau. Den ehemals agilolfingertreuen Klöster stehen jetzt fränkische Äbte vor.