Der Weihnachtsmann hat sich gegen den heiligen Nikolaus scheinbar durchgesetzt

Das Ende einer Legende

Schokoladen-Nikolausfiguren sind in den Geschäften des Einzelhandels nicht mehr gefragt

Vor einem Jahr waren die Zeitungsspalten voll von St. Martinsfeiern und  Martinsumzügen in den Kindergärten. Auch in Konzell sangen die Kinder in der Kirche „Sankt Martin war a guada Mo, er heijft wou er nur ko!“ und erzählten in einer Bildergeschichte vom Leben und Wirken des Heiligen. Weil der Heilige nicht im direkten Konkurrenzkampf mit der Werbeindustrie steht, ist er geradezu ein Glücksfall für die Vorschulpädagogik zur Wertevermittlung wie sozialem Verhalten und dem Teilen im menschlichen Miteinander. Gerade einmal 14 Tage später wollte Pfarrer Walter Strasser, der Jugendseelsorger des Landkreises Straubing-Bogen, seine Ministrantenschar in Konzell und Rattenberg zum Nikolaustag mit Schokoladenfiguren ihres speziellen Schutzheiligen beschenken und scheiterte am knallharten marktwirtschaftlichen Gesetz von Angebot und Nachfrage: Nachdem er in keinem einzigen Geschäft einen Nikolaus mit Mitra, Bischofsstab und Buch auftreiben konnte, seine Ministranten dann aber doch nicht um den Schokoladengenuß inklusive Endorphinausschüttung bringen wollte, mußte er wohl oder übel auf die pausbäckige amerikanische Version mit Gartenzwerghaube und Strampelanzug in den roten Coca-Cola-Hausfarben zurückgreifen.

Wer ist daran schuld, daß 74 Jahre nach der erfolgreichen Plakataktion des Coca-Cola-Konzerns die Werbefigur des schwedischen Zeichners Haddon Sundblom, die den Konsumenten lediglich eine erfrischende Cola-Pause wünschte, dem legendären Bischof von Myra den Rang ablaufen konnte? Zur Aufhellung des Sachverhalts konnte der Förderverein Bairische Sprache und Dialekte in Niederbayern/Oberpfalz, der sprachliche Identität untrennbar verbunden sieht mit kultureller Identität, sein prominentes Mitglied, den Landtagsabgeordneten Josef Zellmeier, für das Thema sensibilisieren. Das Antwortschreiben, das er vor wenigen Tagen vom Lebensmittelkonzern Kraft Foods aus Bremen erhielt, war mehr als ernüchternd. Nach Abschluß der Weihnachtssaison 2003, in der in 1.700 süddeutsch- en Geschäften wieder versuchsweise Nikolaus- und Krampusfiguren neben den Weihnachtsmännern angeboten wurden, waren die verkauften Stückzahlen im Vergleich zum „Milka-Weihnachtsmann“ verschwindend gering. Nicht wie vermutet der „Heilige St. Ruach“ (O-Ton Biermösl-Blosn) sondern das die eigene Kultur geringschätzende Käuferverhalten ist also mit dem Heiligen von Myra Schlitten gefahren.

„Gerade wir Bayern sind nicht selten mangels eines ausgeprägten kulturellen Selbstbewußtseins anfällig alles aus anderen Kulturen kritiklos zu übernehmen und die eigene Kultur als minderwertig anzusehen“, sagt Professor Dr. Reinhard Haller, Volkskundler an der Universität Passau. Er sieht die verflachende Nikolauskultur als logische Fortsetzung von Mißverständnissen und Fehlinterpretationen im Fremdenverkehrswesen.

Selbst an der ehrwürdigen Wirkungsstätte des heiligen Nikolaus hat unbemerkt eine kleine Kulturrevolution stattgefunden, wie Pfarrer Alex Kutzer, Ruhestandsgeistlicher in Rattenberg, zu berichten weiß. Als er heuer während seiner Türkeireise auch Myra, das heutige Demre, besichtigte, mußte er feststellen, daß die riesige Bronzestatue des Stadtheiligen an einen anderen Platz versetzt und durch eine Weihnachtsmann-Statue ersetzt wurde.

„Preiszuckerl“ statt „Schnäppchen“

 „Willkommen im Club der „Cocacolisierten“, merkt Sepp Obermeier, ostbayerischer Vorsitzender des Fördervereins Bairische Sprache, ironisch an. Sein Verein wollte ein kleines Zeichen setzen und so fuhr er mit seinem Vorstandskollegen Erich Sterr ins österreichische Schärding quasi in Sachen Nikolaustourismus. Die beiden Konzeller staunten nicht schlecht als sie ausschließlich Nikolausfiguren mit Mitra und Stab in den Regalen vorfanden, sowohl aus der Produktion des Marktführers Milka, der in Österreich über eine eigene Fertigungsstätte verfügt, als auch aus der des Wiener Konkurrenten. Auf dessen Billigangebot wiesen die sprachbewußten Nachbarn jedoch nicht mit dem scheinbar unvermeidlichen norddeutschen „Schnäppchen“ hin, sondern mit der sympathischen Wortschöpfung „Preiszuckerl“. Da wurden die beiden Niederbayern auch sprachlich zum Schokoladenkauf animiert. Wobei die Waldler dem amerikanischen Santa-Claus-Ruf „Hou-Hou-Hou“ auch noch etwas Gutes abgewinnen können, da die englischen „ou“-Laute die identischen, nicht selten bespöttelten bayerwälderischen Laute aufwerten. Die traditionellen Süßwaren, unter die sich auch etliche Krampus-Figuren gemischt haben, wird der Sprachverein dem Verkaufsstand des Rattenberger Kindergartens auf dem dortigen Nikolausmarkt sowie dem Konzeller Kindergarten spenden. Pfarrer Strasser verzeichnete unterdessen einen logistischen Erfolg: vom kirchlichen St. Benno-Verlag aus Leipzig konnte er einzeln verpackte Nikolause mit wissenswerten Angaben über Leben und Wirken des Heiligen ordern.

Fingerspitzengefühl und Aufklärung über das gleichberechtigte Nebeneinander von gewachsenen Bräuchen dürften im heutigen Informationszeitalter eigentlich kein Problem darstellen. Brandgefährlich jedoch könnte es werden, wenn der beleuchtete PVC-Santa-Claus

am holzbefeuerten Kamin hängt. „Die Plastikgestalten haben am Kamin nichts verloren“, protestiert Hans Ritt, Technischer Innungswart der Kaminkehrerinnug von Niederbayern. Bei ungünstigen Windverhältnissen können nämlich die heißen Abgase nach unten gedrückt werden und das PVC zum Schmelzen bringen oder Funkenflug verursachen.

Sollte die Kaminkehrerinnung jedoch soweit gehen und einen Aufkleber mit einem Weihnachtsmann im Verbotschild entwerfen, dann könnte es ihr so ergehen wie dem Innsbrucker Verein „Pro Christkind“. Vor zwei Jahren mußte der Verein seinen Aufkleber aus dem Internetauftritt entfernen nachdem die amerikanischen Nachrichtensender CNN und NBC mit rechtlichen Schritten wegen Verunglimpfung der amerikanischen Kultur gedroht hatten. „ Ja mei, oiss is a Kultur“, mußten die tapferen Österreicher eingestehen und klein beigeben.

 Sepp Obermeier, Gossersdorf, Nov. 2005