Wö­daschwüln im Bayerischen Wald?

Michael-Kollmer-Gedächtnis-Symposium zu den Mundarten des Bayerischen Waldes und des Böhmerwaldes vom 11. bis 14. April in Kirchdorf im Wald (Landkreis Regen)

von ULRICH KANZ

 

 

Einen singenden Landrat erlebt man nicht alle Tage. Es muss also eine besondere Ver­anstaltung sein, wenn sich der Regener Landrat Heinz Wölfl in seinem Grußwort spontan dazu ent­schließt, ein Lied über die Schwärzer (=Schmuggler) im Bayerischen Wald zu singen. Und so begann das Michael-Kollmer-Gedächtnis-Symposium zu den Mundarten des Bayerischen Waldes und des Böhmerwaldes in Kirchdorf im Wald (Landkreis Regen) mit einem musikali­schen Leckerbissen, dem noch weitere folgen sollten.

Am 24. Februar 2001 verstarb Dr. Michael Kollmer, der wohl profundeste Kenner der Mundarten des Bayerischen Waldes, im 84. Lebensjahr. Bereits 1949 beschäftigte sich Michael Kollmer mit der Phonologie des Bairi­schen in seiner Münchner Dis­sertation über Die bairischen Laute, dargestellt durch Vergleich der Mundart des Klinglbach­tales im Bayerischen Wald mit anderen bairischen Mundarten. Nach seiner Pensionierung als Gymnasiallehrer widmete er sich erneut den Dialekten des Bayerischen Waldes, die er in seinem dreibändigen Hauptwerk Die schöne Waldlersprach von Wegscheid bis Waldmünchen, von Passau bis Regensburg (3 Bände im Eigenverlag, 1987-1989) auf insgesamt über 1600 Seiten phonologisch, morphologisch und dialektgeogra­phisch beschrieb. Besonders wertvoll für die Forschung sind die alphabetischen Wortlisten und Sammlungen von 1340 Redensarten, die eine Vielzahl veraltender oder heute gar nicht mehr bekannter Dialektwörter der Mundarten des Bayerischen Waldes und darüber hinaus enthalten. Die 237 Erzählungen von Bewohnern des Bayerischen Waldes in exakter Transkription und Überset­zung in die Standardsprache erlauben einen Einblick in Leben und Arbeit in einer heute oft schon fremd anmutenden Zeit.

Michael Kollmer gelang die Lösung eines lange Zeit ungeklärten phonetischen Phäno­mens, indem er die unterschiedliche Qualität der Vokale a und e auf den Einfluss althochdeut­scher Lautzustände zurückführte. Diese in vielen bairischen Mundarten Ostbayerns und Oberösterreichs noch heute geltende Regelhaftigkeit fand als "Kollmersches Gesetz" Eingang in die Fachliteratur.

Er ging von einer in sich perfekten Stimmigkeit der Waldlersprache aus, die sich orga­nisch aus dem Althochdeutschen entwickelt hat. Das Adjektiv "schön" im Titel seines Haupt­werkes steht für die Regelmäßigkeit und Vollendung seiner Mundart.

Der thematische und geographische Rahmen des Symposiums, das zu Ehren Michael Kollmers von Prof. Dr. Ludwig Zehetner, Institut für Deutsche Sprache an der Universität Regensburg, und Dr. Alfred Wildfeuer, Kirchdorf im Wald, organisiert wurde, war somit vorgegeben. Die Vorträge der 26 Referentinnen und Referen­ten aus Bayern, Österreich, Tschechien und den USA beschäftigten sich mit dialektologischen Fragestellungen aus Ostbayern, Oberösterreich und Tschechien. Dabei wurde ein weiter Bo­gen zwischen linguistischen, literarischen und volkskundlichen Themen gespannt. Historische Urkundensprache des 14. Jahrhunderts war ebenso Gegenstand der Tagung wie phonetische Fragestellungen und Wörterbuchprojekte. Den volkskundlichen Aspekt betonten Referate über die für den Bayerischen Wald typischen "Weigaz-Gschichtn" (Geschichten über ruhelose arme Seelen) sowie über die Umsetzung der Mundartpflege in einem Freilichtmuseum. Vorträge über die gegenwärtige Situation der deutschen Mundarten im Egerland und in Südmähren und den Sprachatlas der Deutschen Mundarten in Tschechien unterstrichen den internationalen Cha­rakter des Symposiums.

Musikalischer Höhepunkt waren Vertonungen von Versen der Bayerwalddichterin Emerenz Meier (1874 - 1928) aus Schiefweg bei Waldkirchen von Monika Drasch (Bairisch Diatonischer Jodelwahnsinn). Ihre intensive Auseinandersetzung mit Emerenz Meier, die als Vorläuferin der deutschen Mundartdichtung gelten kann, bevor sie mit 32 Jahren mit ihrer Familie nach Amerika auswanderte, verdeutlicht die Kraft und Spannung in Gedichten wie "Wödaschwüln" und in dem fast sarkastischen Bekenntnis "Was ich liebte, bekam ich nicht, / Was ich kriegte, das nahm ich nicht, / So werd' ich, Freundchen, verdamm mich nicht, / Ne alte Jungfer und scham mich nicht." In einem "Stoßseufzer" beschrieb Emerenz Meier hin­tergründig ihre Probleme als Dichterin und Frau, indem sie fragt, was wohl aus Goethe, Schiller und Heine geworden wäre, wenn sie selbst kochen, waschen und nähen müssen hät­ten: "Ach die Herren, / Alle wären / Keine großen Dichter worden."

Dem musikalischen Vortrag durch Monika Drasch und Otto Göttler vom Bairisch Diatonischen Jodelwahnsinn ging ein Vortrag von Prof. Dr. Christopher J. Wickham voraus, der eigens aus San Antonio, Texas, angereist war.

Dass der bairische Dialekt nach wie vor lebt und nicht nur Gegenstand gelehrter Erörte­rung ist, zeigte das abwechslungsreiche Abendprogramm. Neben einem Konzertbesuch beim Bairisch Diatonischen Jodelwahnsinn in Regen stand eine Dichterlesung mit Harald Grill auf dem Pro­gramm. Der oberpfälzische Dichter mit niederbayerischen Wurzeln bewies, welch feinsinnige Kraft und Hintergründigkeit in oft nur wenigen Worten stecken kann, ja, dass gerade der Di­alekt bestens geeignet ist, Emotionen, Naturerscheinungen, Stimmungen und zwischenmenschliche Kon­flikte wiederzugeben. Der Hell Sepp beeindruckte mit einem Vortrag aus seiner Sturmi-Bibel, die eine in sich stimmige Ausgestaltung einer bairischen Buchsprache ist.

Den Abschluss der Tagung bildeten Exkursionen in das Freilichtmuseum Finsterau so­wie nach Schiefweg zum Geburtshaus der Emerenz Meier.

Dass das Symposium zu Ehren Michael Kollmers nicht an der Universität selbst, son­dern in Kirchdorf im Wald stattfand, unterstreicht die Bedeutung der Universität Regensburg für den ostbayerischen Raum und über die Grenzen nach Osten hinaus. Er­freulich ist, dass viele junge Referenten mit ihren Vorträgen zum Gelingen des Symposiums beitrugen. Um den wissenschaftlichen Nachwuchs in der bairischen Dialektologie muss man sich somit keine Sorgen machen. In einem geplanten Tagungsband sollen alle Vorträge fest­gehalten werden. Übrigens, eine "Wödaschwüln" gab's nicht. Die Tagung fand bei herrlichem Wetter statt.

 

 

letzte Aktualisierung von dieser Seite: 22. April 2002