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Projekt Dialekt: Soundquelle Mundart

17.12.2010 | 11:15 |  von Sabine Hottowy (Die Presse - Schaufenster)

Die Soundquelle Mundart ist direkt und ehrlich – und manchmal macht sie sogar ein bisschen Ärger.

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Badeschluss war gestern, das Becken ist trocken, der Fritter aus der Pommesbude krustet schon – auf Skeros „Kabinenparty“ anzustoßen ist also nicht mehr ganz zeitgemäß. Aber trotzdem: Voigas! Lukas Plöchl ist der neue Stern der Hitparaden. Der „Held von Morgen“, als den man ihn im ORF zu sehen und zu hören bekommt, singt „Alloa bam Fraunz“ statt „Alors on danse“ im Mühlviertler „Traktorgangsta Partyrap“ und stellt es ins Netz. Ziel, Satz und Download-Sieg. YouTube-Stars müssen nicht immer nur die anderen haben, auch im Land ob der Donau kommt man online gut an. Trackshittaz heißt das Recycling-Projekt in Mundart, es veranlasst uns zu der Frage: Ist Dialektpop wieder cool? Auch Birgit Denk singt im Dialekt, mit Plöchl besteht wenigstens eine regionale Verwandtschaft – sie kommt ursprünglich aus dem Mühlviertel – und gräbt im Fundus ihrer Lebenszeit: „Ich glaube an Strömungen in der Mode, der Musik, der Kunst im Allgemeinen. Einmal ist jenes gefragt, und die nächste Generation bewegt sich wieder gegen den Strom. Auf glatten englischsprachigen Pop folgt Hochdeutsch, folgt Dialekt, folgt Englisch.“ Folgt Hochdeutsch, folgt Dialekt, folgt Englisch, alles eine Frage der Zeit also. Jetzt schwimmen wir auf der Dialektwelle, richtig?

Markus Binder, eine Hälfte der oberösterreichischen Zwei-Mann-Band Attwenger, fühlt sich von der Trendfrage belästigt, sie wird ihm nämlich seit 20 Jahren gestellt. „Und wenn sie uns in 20 Jahren wieder gestellt wird, dann antworten wir so wie vor 20 Jahren: Dialektmusik ist immer dann en vogue, wenn es jemand versteht, etwas Interessantes auf diesem Gebiet zu machen.“ Ja, gut. Binder holt weiter aus: Abgesehen davon gäbe es in der veröffentlichten Meinung immer einen „Hang zum Schlagwort, zur Schlagzeile, zum Erschlagen, meinungsmäßig gesehen. Genauso gibt es einen Hang, Identitäten herzustellen, wo keine sind, Tendenzen zu behaupten, die schon wieder ganz anders weiterlaufen, und Verständnis zu schaffen für alles.“

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Die Mitglieder der Holstuonarmusigbigbandclub, kurz HMBC, erschlagen niemanden, schubsen höchstens Katy Perry von der Chartsplatzierung und hätten sich mehr Verständnis von ihren Landsleuten aus dem Bregenzerwald erhofft. Ihre schöne Nummer „Vo Mello bis ge Schoppornou“ ist die Geschichte einer langen Nacht in der Bar und des Wegs zurück ins Bett. Im Vorarlberger Radio wurde sie boykottiert, erzählt Philipp Lingg, der Sänger der Blaskapelle: „Die Leute in Vorarlberg haben sich darüber aufgeregt, dass es zu viel gespielt wird, was quasi schlecht für die jungen Leute sei. Aber wir haben ja keinen Bildungsauftrag zu erfüllen!“ Und von einer Ich-Erzählung sollte sich keiner angegriffen fühlen.


Mundart hat etwas Angriffiges. Wegen „Vo Mello bis ge Schoppornou“ haben sich eben doch ein paar Beschützer Sorgen gemacht, was für Mundartmusik aber normal ist, weiß Frau Denk, die niemals auf die Musikindustrie Rücksicht genommen hat: „Mundart hat immer etwas ‚Angriffiges‘ an sich. Sie ist direkt und polarisiert, definiert eine Stimmung.“ Sind die vier studierenden und der graduierte Musiker im Westen am Verständnis gescheitert, hapert’s im Osten am Verstehen. Der Text ist Wälderisch, damit ist die Zahl jener Bürger, bei denen kein Fragezeichen über der Frisur aufpoppt, auf 30.000 begrenzt. „Tausende Menschen hören seit Jahren Lieder in englischer Sprache, die sie nicht verstehen. Trotzdem kommen sie bei ihnen an. Das Gleiche schafft dieses Vorarlberger Lied“, streut Denk Rosen. Und weil junge Musiker, die herausstechen, sich wahnsinnig gut beim Show-Dino Song Contest machen, hat man HMBC auch als heimische Hoffnungsträger vorgesehen. Nun denn, Obacht, Lena Meyer-Landrut, jetzt kommt Konkurrenz. Oder nicht? „Wir wurden angemeldet und haben bereits gesagt, dass diese Geschichte zu groß für uns ist und wir eigentlich kein Interesse daran haben, uns in diesem Medium verheizen zu lassen“, macht Philipp Lingg dem Gerücht ein für allemal den Garaus. Was im Mai aber tatsächlich passieren wird, ist eine neue Holstuonarmusigbigbandclubplatte. Nach „Querschlager“ und „free sin“ erscheint im Spätfrühling ihr drittes Album, „es wird eine Mischung aus Englisch, Deutsch und Wälderisch“.


Abgrenzen, ausgrenzen? Ein anderer freut sich schon riesig auf das Show-Spektakel. Lukas Ascher aus St. Pölten steht hinter seiner Anmeldung zur österreichischen Vorentscheidung, hält sie für „eine ganz sensationelle Sache. Und selbstverständlich heißt der Song-Contest-Sieger 2011 Lukascher.“ Letzteres ist der Name, unter dem der Behindertenbetreuer in der Regel Musik macht. Auch er singt im Dialekt, bedient sich bei Austropop, Reggae und so ziemlich allem, was ihm „aktuell im Elektronikbereich die Schuhe auszieht“. Wie diese Kreuzung klingt, erfährt man spätestens Mitte Jänner, dann erscheint sein Debütalbum „Togundnocht“. Lukascher ist ein Herzblutmusiker und kein Weltverbesserer, denn er hat auch nicht mehr Antworten als alle anderen. Was er möchte, ist seinen Mitmenschen „positive Vibes“ zu bringen, in einer Sprache, mit der er sich zu 100 Prozent identifizieren kann. Denn „wenn man in seiner Muttersprache spricht, singt oder in ihr textet, erreicht man die Menschen im emotionalsten Bereich. Auch wenn es nicht deren Muttersprache ist, wird der direkte Zugang –die Zwischentöne, die Farbnuancen, die nur in der Muttersprache möglich sind – wahrgenommen und verstanden. Musik wird nicht nur intellektuell verstanden, es wird nicht nur Sinn erfasst, sondern in Text und Melodie auf vielen Ebenen der Verständigung wahrgenommen. Ich zeige mich mit meiner Sprache als Person und nicht als Kunstfigur“, erklärt Birgit Denk und plädiert gleich für mehr Tiroler Dialekt, Kärntnerisch, Kroatische Popmusik etc. in den Radioprogrammen dieses Landes. „Die Freunde aus Vorarlberg haben bewiesen, dass es den Leuten gefällt.“

Attwenger wiederum wollen mit ihrer „herrschaftsfreien Sprache“ erreichen, „dass der Dialekt überhaupt nicht mehr als Sprache im Sinn eines Transporters von Inhalten verstanden wird, sondern als ein Terrain fluxierender Bedeutungen, als Soundquelle“. Dass diese Quelle nachhaltig, dass Mundart eben keine Zeiterscheinung ist, zeigt das Duo Binder und Falkner (vulgo Attwenger) mit einem dicken Jubiläum, für das sie selbst nicht viel übrig haben. „Wir haben festgestellt, dass erst dadurch, dass jemand darauf hingewiesen hat, dass unser erstes Konzert vor 20 Jahren stattgefunden hat, die Tatsache bekannt geworden ist, dass es uns seit 20 Jahren gibt. Hätte niemand auf diese Tatsache hingewiesen, wären wir immer noch einfach nur eine Band, die Musik spielt und hie und da ein Album aufnimmt. So ein Jubiläum macht unsere Sache nur 20 Jahre alt, sonst gar nichts.“ Keine Torten für die beiden und kein Jubiläums-Rückblicks-Best-of für den geneigten Hörer. Geschenkt gibt’s bloß ein Schlusswort von Markus Binder: „Guter Musik ist es völlig egal, ob Dialekt oder Intellekt – oder am besten beides: Wenn sie gut ist, dann gut so.“

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1 Kommentare
Gast: Wolfgang A.
18.12.2010 22:10
0 0

Orschinell

Ja, Traktor-Rapper, das ist genau das worauf wir gewartet haben.

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