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16.05.2009   04:25 Uhr Drucken
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Shakespeare trägt eine Lederhose

Der größte Dichter Englands prägte Literatur, Sprache und Theater in Bayern stärker als vermutet

Von Hans Kratzer

München - Die Werke des englischen Dichters William Shakespeare (1564-1616) gelten vielen als die wichtigsten literarischen Texte der Neuzeit. Ein großer Meister war er vor allem darin, dem Volk und der Obrigkeit aufs Maul zu schauen. Vor Männern, die so etwas können, hatten die Bayern stets Respekt, sei es der freche Aufklärer Johann Pezzl aus Mallersdorf, der Gstanzlsänger Jakob Roider aus Weihmichl oder eben Shakespeare. Letzterer hat die Volkssprache mit Wörtern und Redewendungen bereichert, die auch in Bayern sprichwörtlich wurden ("Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage", Hamlet). Sein Stil ist kernig und gradheraus, Shakespeare hätte damit jederzeit ein Bayer sein können. Dies bestätigt auch eine neue wissenschaftliche Untersuchung des Philologen Wolfgang Weiß, deren Buchdeckel das Shakespeare-Denkmal in Weimar ziert. Allerdings trägt der Dichter eine bayerische Tracht, und er schaut mit Lederhose, Haferlschuhen und Gamsbart auf dem Hut tatsächlich aus, als sei er luftgeselcht und körndlgefüttert gerade einem Dorf am Fuße der Alpen entsprungen.

Tatsächlich war Shakespeare schon zu seinen Lebzeiten in Bayern kein Unbekannter. Weiß belegt, dass der Dichter theoretisch die ersten Aufführungen seiner Dramen im damaligen Kurfürstentum hätte sehen können. Im frühen 17. Jahrhundert streiften bereits Legionen von englischen Komödianten durch die Reichs- und Residenzstädte, wo viel Volk zusammenströmte. Nürnberger Archive verwahren Dutzende Auftrittsgesuche englischer Comoedi-Truppen zwischen 1593 und 1629. Aber auch München, Augsburg, Regensburg und Passau erlebten englische Komödianten, die biblische und erbauliche Stoffe zusammenrührten. Als frühesten Nachweis von Shakespeare-Aufführungen in Bayern führt Weiß eine Liste an, die eine Truppe im Januar 1604 in Nördlingen einreichte. Das siebte Stück auf der Nördlinger Liste heißt "Vonn Romeo unndt Julitha".

Die Schauspieler arbeiteten die Dramen für das deutsche Publikum um. Noch war der Autor unwichtig, allein der Stoff sollte neugierig machen. Shakespeares Name wurde deshalb erst im 18. Jahrhundert populär. Das Volkstheater präsentierte seine großen Stücke dann im 19. und 20. Jahrhundert auch in bairischer Mundart. Schon Shakespeare selber hatte in seine Dramen Mundarten eingewebt, etwa das Walisische und das Schottische.

Weiß erwähnt in seinem Vorwort die Vorbehalte. Shakespeares Dramen in bairischer Mundart von Laienschauspielern auf Bauernbühnen gespielt, das sei für Shakespeare-Verehrer eine entsetzliche Vorstellung, ja sogar eine Herabwürdigung. Sie sehen den Dichter allein neben Goethe und Schiller. Seine Rezeption in der hohen Literatur des Bildungsbürgertums überlagerte die Bearbeitung seiner Dramen durch solche Autoren, die Shakespeare vor allem als Dramatiker des Volkstheaters verstanden. Trotzdem fand er um die Mitte des 19. Jahrhunderts Eingang in das bayerische Bauerntheater. Weiß verweist in seiner Untersuchung auf zahlreiche hervorragend gelungene Mundart-Übertragungen, die Shakespeare zur Ehre gereichen. Überzeugend funktioniert hat dies beispielsweise im "Sonett 18", das Jürgen Gutsch, ohne es zu verfälschen, ganz in die bairische Sprache und Kultur übertragen hat. Hanns Vogel verlegte den Monolog "All the World"s a Stage" ins München der 80er Jahre, und Ludwig Merkle, der Großmeister der bairischen Grammatik, riskierte eine hochkomplizierte Übersetzung des Hamlet-Monolog "To be or not to be" ("lewenddig oda gschdoama, ja dees fragt si . , .").

Schon die Ritterstücke des als Inntaler Bauern-Shakespeare berühmten Joseph Georg Schmalz (1792-1845) ähneln den Tragikomödien des Londoner Volkstheaters, die der späte Shakespeare verfasste. Herbert Rosendorfer wiederum bearbeitete "Der Widerspenstigen Zähmung", verlegte die Handlung in den Münchner Speckgürtel, lässt die derbe Sprachgewalt erahnen ("Saukopf und Brunztuttn"). Johannes Reitmeier wagte es erfolgreich, die düstere Komödie von Macbeth in den Dialekt des Bayerischen Waldes zu übertragen und für die Kötztinger Waldfestspiele zu bearbeiten.

Ganze Bibliotheken sind über Shakespeare geschrieben worden, aber dem Volkstheater, für das Shakespeare seine Dramen eigentlich verfasst hat, wurde bisher kaum wissenschaftliche Aufmerksamkeit zuteil. Weiß weist in seinem Buch überzeugend nach, dass diese Übertragungen keine Schändungen Shakespeares sind, sondern beachtenswerte Huldigungen an sein Genie.

(Wolfgang Weiß, Shakespeare in Bayern - und auf Bairisch, Verlag Karl Stutz, 2009, 201 Seiten, 19,80 Euro, ISBN: 978-3-88849-090-3).


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