Die Steirer „bellen“, die Wiener „ziehen“

22.08.2009 | Graz | (SN).
Dialekte. In Österreich existiert eine „innersprachliche Mehrsprachigkeit“, zu der sich nicht viele bekennen. Es gibt vier sprachliche Regionen mit Untergruppen.
Martin Behr
Graz (SN). „Der Österreicher unterscheidet sich vom Deutschen durch die gemeinsame Sprache“: Ein Bonmot, aber eines mit schlüssigem Hintergrund. Das österreichische Deutsch hat eben gewisse Unterschiede zum „deutschen Deutsch“. Beispiele gefällig? Eierschwammerl/Pfifferlinge, Obers/Sahne, Karfiol/Blumenkohl, Kren/Meerrettich, Weichsel/Sauerkirschen und noch vieles mehr. Zwischen Neusiedlersee und Bodensee existieren Vokabeln und Dialekte, die man jenseits der Weißwurstgrenze kaum verstehen kann. Und umgekehrt.

Dialekte? „Dialekt ist ein denunzierender, wissenschaftlich wertloser Begriff“, erklärt der aus dem Burgenland stammende, in Graz lehrende Germanist Rudolf Muhr. Der Vorkämpfer für ein eigenständiges österreichisches Standarddeutsch verwendet lieber den Begriff der „regionalen Sprache“. Rudolf Muhr, der bundesweit Bekanntheit erlangt hat, indem er seit 1999 das österreichische Wort und Unwort des Jahres küren lässt, konstatiert für Österreich vier sprachlich unterschiedliche Großräume. Im Westen das alemannisch geprägte Vorarlbergische, das Tirolerische, das eine relativ konservative Variante des Deutschen ist und von einer starken Landesidentität getragen wird. Im Süden das vom Slowenischen beeinflusste Kärntnerische und im Osten das schon sehr vereinheitlichte Ostösterreichische, zu dem der Wissenschafter Teile von Salzburg, Ober- und Niederösterreich, Wien, Burgenland, Steiermark und Kärnten zählt. Was Rudolf Muhr stört, ist, dass sich kaum jemand zu der „innersprachlichen Mehrsprachigkeit“ bekennt. Die Gründe dafür? „Sicher ein mangelndes Selbstvertrauen, es fehlt am Mut, sich zur eigenen, identitätsstiftenden Sprache zu bekennen“, erklärt Muhr, Leiter der Forschungsstelle „Österreichisches Deutsch“ an der Grazer Karl-Franzens-Universität. Vor allem bei den heimischen Eliten kritisiert er die „Unfähigkeit, die österreichischen Sprachformen als positiv und wertvoll anzuerkennen“.

„Zwischen dem Dialekt und einer Sprache gibt es keinen Unterschied, außer dass es der regionalen Ausformung an festgeschriebenen Regeln fehlt“, erklärt Muhr, der gern den Ausspruch des Linguisten Max Weinreich zitiert: „Dialekt ist eine Sprache ohne Armee und Flotte.“ Wenn die politische und die soziale Macht fehle, erhalte eine Regionalsprache eben leider zu wenig Förderung.

Grenzüberschreitende Dialektforschung betreibt unter anderem der Salzburger Germanist Hannes Scheutz. Er hat für einen Onlinedialektatlas rund 5500 Begriffe, Redewendungen und Sätze aus dem deutschsprachigen Alpenraum gesammelt. Wie vielfältig die Formen sein können, sei am Beispiel des Begriffs „Mädchen“ demonstriert. Was in Teilen von Salzburg „Dirndl“, in Bayern „Möötzn“ oder „Madl“ heißt, wird in Südtirol „Gitsche“, in Schwaben „Feel“ und im alemannischen Raum „Maidle“ oder „Schmelg“ genannt. Unter http://www.argealp.org sind nun Hörbeispiele aus 27 verschiedenen Orten im Alpenraum abrufbar. Via Mausklick können neben den diversen Ausdrücken auch Sprechweisen und Satzkonstruktionen aus den Regionen verglichen werden. Auch Scheutz betont die Wichtigkeit der Regionalsprachen: „Dialekte sind vollwertige Sprachen und keine schlampigen oder minderwertigen Ausdrucksformen.“ Die Forschungen hätten ergeben, dass kleinräumige Formen des Dialektes tendenziell verschwänden und sich größeren Regionen anpassten. In Ostösterreich konstatiert auch Rudolf Muhr eine „starke Vereinheitlichung“ der Regionalsprachen. Die Gründe? „Die Leute sind mobiler geworden, die Landbevölkerung pendelt zur Arbeit in die Städte, Kärntner studieren in Graz oder Wien und da vermischen sich dann die regionalen Sprachvarianten“, erklärt der Wissenschafter. In der jüngsten Vergangenheit habe sich so eine „Ausgleichsvariante“ ausgebildet, die im Simmeringer Vorstadtbeisl ebenso verstanden wird wie im burgenländischen Pendlerdorf oder in der obersteirischen Industriestadt.

Regionale Identität

Steirer pflegen in ihrer Umgangssprache zu „bellen“, Wiener hingegen „ziehen“ ihre Laute. Einen Dolmetsch würde man bei einer Unterredung eines Stoasteirers und eines Hauptstadtbewohners aber nicht brauchen, zu ähnlich ist der Wortschatz. Dass regionale Sprachvarianten vom Aussterben bedroht sind, glaubt Rudolf Muhr übrigens nicht. Im Gegenteil. „Gerade durch die europäische Einigung gibt es ein verstärktes Bedürfnis, die regionale Identität darzustellen. Ein Mittel dafür ist die Sprache“, sagt Muhr. Sprachliche Variation sei so eine Art Unabhängigkeitserklärung.