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DAS DOSSIER
Bairische Mundart hat in München keine Zukunft

von Claudia Englbrecht
13. Oktober 2005

Dr. Bernhard Stör
Dr. Bernhard Stör

Der Dialektspezialist Dr. Bernhard Stör stellt fest, dass der Dialekt in München ausstirbt, weil nur ungefähr zwei Prozent der Schulkinder heute noch Bairisch sprechen.

Journal Digital: Herr Stör, Sie befassen sich seit vielen Jahren mit dem Bairischen. Wie steht es speziell um den Münchener Dialekt?

Bernhard Stör: Arbeiten im Rahmen des Forschungsprojektes Sprachregion München haben gezeigt, dass der Dialekt in München ausstirbt. Die älteren Münchener Bürger haben noch relativ gute Kenntnisse, vor allem in Stadtteilen wie Aubing, Allach, Altperlach oder Feldmoching. Aber bei den Jüngeren sieht es schlecht aus. Nur noch rund zwei Prozent der Münchener Schüler sprechen Bairisch. Ein paar mehr verstehen es natürlich.

Journal Digital: Wie sieht es im Umland von München und in Oberbayern aus?

Bernhard Stör: Im Umland von München sprechen ungefähr noch vier Prozent der Schüler Bairisch, weiter draußen dann so um die 15 Prozent.

Journal Digital: Verschwindet damit der Dialekt von München ausgehend langsam auch in ganz Altbayern?

Bernhard Stör: Der Münchener Dialekt war den Landdialekten immer ein paar Schritte Richtung Hochdeutsch voraus. Aber er breitet sich nicht linear aus, sondern springt von München in die Kreisstädte. So sind zum Beispiel die gleichen Tendenzen, wie in München vor etwa 20 Jahren, auch in Starnberg, Wolfratshausen oder Erding, aber auch in größerer Entfernung, wie in Regensburg und Passau, zu beobachten. Auf dem Land hört man auch von Kindern und Jugendlichen häufig noch Bairisch.

Journal Digital: Der Dialekt in München hat also keine Chance mehr?

Bernhard Stör: Ich wüsste nicht, wie man bei knapp zwei Prozent Bairischsprechern die anderen 98 Prozent noch einmal herumreißen sollte. Ist doch auch klar: Warum soll man mit zwei Sprachen operieren, von denen man eine nie braucht. In der Schule lernt man ja auch Englisch und Französisch und kein Maori.

„Manche Leute verdienen gutes Geld mit der Ware Dialekt“

Journal Digital: Es gibt aber doch Stimmen, die sagen, das Bairische stirbt nie aus...

Bernhard Stör: Manche Leute verdienen gutes Geld mit der Ware „Dialekt“. Da ist es natürlich kontraproduktiv, wenn ich in München behaupte, der Dialekt stirbt aus. Professor Wolf von der Universität Würzburg, der in dem Unterfränkischen Dialektinstitut die Bayerischen Sprachatlasprojekte verwalten möchte, hat mir schon bitterböse Briefe geschickt. In einem Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung hat er geäußert, ich würde nur Schwarzmalerei betreiben, und meine Kassandrarufe wolle sowieso niemand hören. Aber Sie sind doch ein lebendes Beispiel für die Verhältnisse im Raum München. Sie haben ja nicht absichtlich kein Bairisch gesprochen, sondern weil aus Ihrer Altergruppe unter 35 Jahren kaum mehr einer Bairisch spricht.

Journal Digital: Ist das Verschwinden des Bairischen aus München ein jüngeres Phänomen, oder kann man das schon länger beobachten?

Bernhard Stör: Die ersten Aufzeichnungen über das Verschwinden dialektaler Merkmale haben wir schon von 1887. Es hat aber generell schon sehr lange Bestrebungen gegeben, Dialekt auszurotten. Angefangen in der französischen Revolution. Verschiedene Dialekte passten nicht zum Gleichheitsgedanken. Dasselbe gilt für die Faschisten. Ein Volk, ein Reich, ein Führer — eine Sprache. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann dann hier in den 60-er und 70-er Jahren die so genannte Sprachbarrierendiskussion.

Journal Digital: Um was ging es bei der Diskussion?

Bernhard Stör: In der Sprachbarrierendiskussion wurde von nicht wenigen Sprachwissenschaftlern, Literaten und maßgeblichen Leuten in Politik und Gesellschaft behauptet, dass Kinder, die Dialekt lernen, blöd bleiben und es nie zu etwas bringen. Eltern wurden angehalten, Kinder vom Dialekt fern zu halten. Studien belegten angeblich, dass Kinder, die Dialekt sprechen — und das gilt nicht nur für den Bairischen — in der Schule schlecht sind. Aber wenn einer in Mathe schlecht ist und dann auch in Deutsch, wundert mich das nicht! Außerdem sind die Kinder auf dem Land in ihren schulischen Leistungen nicht schlechter.

Journal Digital: Ist es nicht ganz normal, dass in einer Stadt wie München, in der sehr viel Zugezogene leben, der Dialekt weniger benutzt wird?

Bernhard Stör: Sicher, seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist München sehr stark gewachsen. Nach dem Krieg waren es noch 450.000 Einwohner. 1957 war München schon eine Millionenstadt. München und der gesamte Ballungsraum mit 2,5 Millionen Einwohnern sind stark überfremdet.

Journal Digital: Sie nennen also das schlechte Image der Dialekte und den starken Zuzug als Hauptgründe für das beschleunigte Verschwinden des Dialekts aus München?

Bernhard Stör: Ja, und dann natürlich auch noch die Veränderung der gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse. In den 60-er und 70-er Jahren kamen immer mehr Kindertagesstätten auf. Es gab mehr Doppelverdiener oder allein erziehende Elternteile, die ihre Kinder in Kindergärten und Horten untergebracht haben. In diesen Einrichtungen wurde das Bairische zum einen von den Erziehern vermieden, zum anderen dadurch ausgegrenzt, dass die Mehrheit der Kinder nicht Bairisch spricht.

„Bairisch ist die natürliche Fortpflanzungsverhinderung“

Journal Digital: Nicht-Bayern halten doch den Bairischen Dialekt und das Brauchtum für urig. Man sollte meinen, Bairisch könnte sogar cool sein.

Bernhard Stör: Das liegt nur an der Kommerzialisierung durch Kitsch, Klamauk, volkstümliche Hitparaden, Schick-Micki-Trachten und Oktoberfest. Im wirklichen Bayern ist das Bairische eher die natürliche Fortpflanzungsverhinderung. So sagte mir schon vor über zehn Jahren ein Jugendlicher aus dem Landkreis Freising, den wir im Rahmen der Projektarbeit Region München befragten: „Wenn Du in Minga in da Disco a Deandl auf Boarisch ooredtst, na koost glei wieder obzisch’n, wei doo host goo koa Schaa’s!“ Soviel zum Thema Bairisch ist sexy. Generell gilt Bairisch, wie viele Dialekte, als die Sprache der Deppen, der Dummköpfe und der G’scherten!

Journal Digital: Gehen Sie auf die Wiesn?

Bernhard Stör: Was soll ich denn da? Um das klarzustellen: Nur weil ich mich für den Erhalt der Dialekte einsetze, heißt das ja nicht, dass ich CSU wähle, Bier saufe und Schweinsbraten fresse. Ich brauch’ auch keinen BMW, da krieg ich nämlich kein Fahrrad rein.

Journal Digital: Jetzt haben wir schon viel darüber gesprochen, dass Bairisch verschwindet. Haben Sie Vorschläge, was man tun müsste, um das noch aufzuhalten?

Bernhard Stör: Vorschläge? (lacht). Also, man müsste eine ganze Zeit lang verbieten, dass in der Öffentlichkeit Hochdeutsch geredet wird. Jeder, der Dialekt kann, müsste ihn auch sprechen. Man müsste die Leute zwingen, ihren Kindern Dialekt beizubringen, wenn Sie ihn selbst sprechen. In Kindergärten sollte man nur Personal einstellen, das den jeweiligen regionalen Dialekt spricht und Gruppen bilden, in denen die Dialektsprecher die Mehrheit haben. Im Unterricht sollte der Dialekt mindestens gleichberechtigt zum Hochdeutsch sein. Deutschlehrer müssten hier zumindest eine passive Kompetenz des Bairischen haben. Am Wichtigsten wäre aber, Eltern davon zu überzeugen, dass Mundart die schulischen Leistungen nicht beeinträchtigt.

Journal Digital: Wie sollte dies realisiert werden? Die Schulen haben mir ihren Lehrplänen doch heute schon genug zu tun.

Bernhard Stör: Da muss von Seiten des Kultusministeriums mal gesagt werden, was gewollt wird. Was ist denn wichtiger, dass man zum Beispiel Maria Stuart liest oder dass Kinder Dialekt sprechen können? Wenn es den Ministerien mit der propagierten Dialektförderung wirklich ernst wäre, dann würden nur noch drakonische Maßnahmen helfen. Offiziell werden die Dialekte zwar angeblich immer gefördert, aber faktisch wird nichts dafür getan.

„Ein Sprachdarwinismus ist abzulehnen“

Journal Digital: Sie haben einmal die „Beckenbauerisierung“ des Bairischen beklagt und damit auf das sehr gepflegte Bairisch von Leuten wie Franz Beckenbauer und Uschi Glas angespielt. Ist es nicht verständlich, dass sie von allen Deutschen verstanden werden wollen?

Bernhard Stör: Dass man vielleicht nicht mehr verstanden wird, ist das einzige Argument, das sticht. Ein Sprachdarwinismus aber, der das Hochdeutsche norddeutscher Prägung zum allein selig machenden Idiom erhebt, ist in dem immer wieder propagierten Europa der Regionen abzulehnen. Auch gibt es Leute wie den Franz Xaver Bogner. Der schreibt Serien wie „Cafe Meineid“ und „Münchener 7“ und macht so mit dem Bairischen sein Geschäft, aber in der Öffentlichkeit spricht er Hochdeutsch oder das, was er dafür hält. Noch besser ist der Martin Bauer, der Interimsvorsitzende des Fördervereins Bairische Sprache und Dialekte e.V.. Der spricht im Bayerischen Fernsehen auch keine Mundart, sondern nur verunglücktes Standarddeutsch. Man kann daraus nur schließen, dass es in der Öffentlichkeit vermieden wird, Dialekt zu sprechen. Wofür sollen Kinder den Dialekt dann lernen? Für den Kartoffelkeller?

Journal Digital: Sie haben sowohl am Sprachatlas Oberbayern, am Bayerischen Wörterbuch, als auch an dem Forschungsprojekt Sprachregion München mitgearbeitet. Diese Projekte werden mit öffentlichen Geldern gefördert. Was ist der Nutzwert für die Allgemeinheit?

Bernhard Stör: Im Prinzip ist der Nutzen für die Allgemeinheit die Katalogisierung der bayerischen Dialekte, bevor diese verschwinden. Ein gutes Hörvermögen, eine phonetische Ausbildung und fundierte Kenntnisse in Dialektologie wären jedoch Vorraussetzung für eine Mitarbeit gewesen. Leider brachten die meisten der Mitarbeiter diese Qualifikationen nicht mit. So wurde in diesem Projekt häufig eher die Wahrnehmung und Kenntnisse der Bearbeiter kartiert, als die regionalen Dialekte.

Journal Digital: Ist der Atlas also wertlos?

Bernhard Stör: Mit den zwölf Bänden, die zum Beispiel für Ober- und Niederbayern erscheinen, kriegen Sie ungefähr eine Mülltonne voll.

Journal Digital: Sie haben auch einmal Bairisch Kurse an der Uni angeboten?

Bernhard Stör: Nein, nein, das waren keine Bairisch Kurse. Ich habe ganz allgemein Kurse in Dialektologie angeboten. Wo werden welche Dialekte gesprochen und was sind deren Merkmale. Die Kurse waren auch mit 40 bis 50 Teilnehmern gut besucht. Nachdem wir hier in Bayern sind, war das Interesse an den hier gesprochenen Mundarten natürlich hoch. Ich halte meine Vorlesungen auch so Bairisch wie möglich. Dialekt hat nur eine Chance, wenn er wirklich gesprochen wird, auf dem Postamt, im Ministerium, in der Schule, im Kino, mit Dir, mit mir, mit jedem!

Vielen Dank für das Gespräch


Interne Links:

Dr. Bernhard Stör
Kurzporträt des Dialektologen Dr. Bernhard Stör

Glossar
Informationen zu Bairisch und Bayern

Weiterführende Links:

Die Bayerische Sprache
Die Bairischen Sprache, deren Verbreitung, Phonologie und Grammatik (Wikipedia)

Förderverein Bairische Sprache und Dialekte e.V.
Informationen zum Förderverein Bairische Sprache und Dialekte