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KREIS ALTÖTTING  vom 02.02.2004

„Bairisch ist dem Hochdeutschen weit überlegen“

Dr. Ulrich Kanz hält Vortrag über „Die bairische Sprache - Geschichte und Gegenwart unserer Mundart“

Mehring. Ein Preuße beim Vortrag über den bairischen Dialekt - Was mich wohl erwartet? "Sind Sie auch zweisprachig", fragt mich mein Sitznachbar gleich zu Beginn des Vortrages. Gerade will ich ansetzen: Yes ..., aber ach, nein, er meint selbstverständlich bairisch. Da muss ich passen. Ich spreche nur hochdeutsch. Meine ich zumindest, der Abend wird mich nämlich noch eines Besseren belehren. Freundlicherweise bietet mir mein Sitznachbar daraufhin an: "Ich kann gerne simultan übersetzen." Oh vielen Dank, eventuell komme ich darauf noch zurück.
Dr. Ulrich Kanz, halb Bayer, halb Dortmunder und ganzer Sprachwissenschaftler, beginnt mit dem Vortrag: Preuße trifft Bayer und sagt "Ach ihr Bayern, ihr könnt ja noch nicht mal richtig sprechen. Das muss doch heißen oans, zwoa, droa." Die rund 60 Zuhörer im Hohenwarter Gasthaus Schwarz lachen über die Anekdote des Deutschlehrers, der seine Doktorarbeit über die bairische Sprache geschrieben hat. Etwas verwundert blicke ich um mich. Warum lachen jetzt alle? Bloß nicht das Gesicht verlieren, ein bisschen mitlachen kann nicht schaden. Nach und nach wird deutlich: ,Droa' ist falsch. Warum bloß? Dr. Ulrich Kanz beginnt seine geschichtliche und sprachliche Abhandlung.
Der Burghauser spricht nur gemäßigt Dialekt, ich muss meinen Nachbarn also nicht behelligen. Die Geschichte der bairischen Mundart fördert Erstaunliches zu Tage. Im fünften Jahrhundert wanderten Menschen aus Böhmen in das Gebiet südlich der Donau ein und stießen dort auf andere Stammesgruppen. Die Völker vermischten sich. Schriftliche Zeugnisse aus dem achten und neunten Jahrhundert verdeutlichen die Sprachwurzeln. Auch damals schon "luste" man auf und sprach vom "Stadal". "Wir können also stolz auf unsere Sprache sein, denn was wir reden, hat Hand und Fuß", betont Kanz. "Wir brauchen uns für nichts entschuldigen." Die Zuhörer lachen. Keiner sieht danach aus, als ob er sich für irgendetwas schämen würde. Aber trotzdem: Eine Zuhörerin bedankt sich artig für diese quasi historische Bestätigung.
Der bairische Sprachraum erstreckt sich von Klagenfurt in Österreich bis kurz vor Bayreuth und von München bis hinter Wien. Rund 15 Millionen Menschen sprechen nord-, mittel- oder südbairisch. Unzählige Abweichungen sind für verschiedene Gegenden charakteristisch. Zum Vergleich: Tschechisch sprechen nur 9 Millionen Menschen, Finnisch sogar nur fünf Millionen.
Und das Hochdeutsch? Dann die Ungeheuerlichkeit: Die Sprache, die bei Hannover gesprochen wird, ist kein Hochdeutsch, sondern lediglich ein Schriftdeutsch ohne Dialekt. Alles nur ein Irrglaube. Aber für mich als waschechte Hannoveranerin wird es noch schlimmer: Es ist sozusagen ein verkümmertes Bairisch. "Das Deutsch, das im Raum Hannover gesprochen wird, fußt zum Teil auf der bairischen Sprache." Von wegen Hannover sei die einzige Region, in der Hochdeutsch gesprochen wird. "Das ist ein nicht ausrottbares Vorurteil", erklärt Kanz.
Tiefpunkt erreicht? Falsch: "Der bairische Dialekt ist dem Hochdeutschen weit überlegen", schildert Kanz weiter. Die vielschichtigen Anwendungsmöglichkeiten machen es aus: So gibt es für "er daad kemma" im Norddeutschen nur schwer eine Entsprechung. Ich gebe mich geschlagen.
Bei der Sprachfindung für Nachschlagewerke saßen eben keine bayerischen Sprachwissenschaftler dabei. Norddeutsche Varianten wurden zur Norm erklärt. Ein Beispiel: das Wort Butter. Laut Duden die Butter, im Bairischen der Butter. Ein Blick zu den europäischen Nachbarn zeigt, dass die spanische und die französische Sprache Butter mit maskulinem Artikel versieht.
Und was ist jetzt mit dem Wort "droa"? "Das Zahlwort drei lautete im Mittelhochdeutsch nicht drei, sondern ,driu'", sagt Kanz. "Aus diesem Zwielaut ,iu' wurde im Laufe der Zeit kein ,oa', sondern ein ,ei'." Deswegen Drei. Aber ich werde es wohl nicht mehr lernen. Johanna Krauskopf

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