Dr. Ulrich Kanz hält Vortrag über
„Die bairische Sprache - Geschichte und Gegenwart unserer Mundart“
Mehring. Ein Preuße beim Vortrag über
den bairischen Dialekt - Was mich wohl erwartet? "Sind Sie auch
zweisprachig", fragt mich mein Sitznachbar gleich zu Beginn des Vortrages.
Gerade will ich ansetzen: Yes ..., aber ach, nein, er meint
selbstverständlich bairisch. Da muss ich passen. Ich spreche nur
hochdeutsch. Meine ich zumindest, der Abend wird mich nämlich noch eines
Besseren belehren. Freundlicherweise bietet mir mein Sitznachbar daraufhin
an: "Ich kann gerne simultan übersetzen." Oh vielen Dank, eventuell komme
ich darauf noch zurück. Dr. Ulrich Kanz, halb Bayer, halb Dortmunder
und ganzer Sprachwissenschaftler, beginnt mit dem Vortrag: Preuße trifft
Bayer und sagt "Ach ihr Bayern, ihr könnt ja noch nicht mal richtig
sprechen. Das muss doch heißen oans, zwoa, droa." Die rund 60 Zuhörer im
Hohenwarter Gasthaus Schwarz lachen über die Anekdote des Deutschlehrers,
der seine Doktorarbeit über die bairische Sprache geschrieben hat. Etwas
verwundert blicke ich um mich. Warum lachen jetzt alle? Bloß nicht das
Gesicht verlieren, ein bisschen mitlachen kann nicht schaden. Nach und
nach wird deutlich: ,Droa' ist falsch. Warum bloß? Dr. Ulrich Kanz beginnt
seine geschichtliche und sprachliche Abhandlung. Der Burghauser
spricht nur gemäßigt Dialekt, ich muss meinen Nachbarn also nicht
behelligen. Die Geschichte der bairischen Mundart fördert Erstaunliches zu
Tage. Im fünften Jahrhundert wanderten Menschen aus Böhmen in das Gebiet
südlich der Donau ein und stießen dort auf andere Stammesgruppen. Die
Völker vermischten sich. Schriftliche Zeugnisse aus dem achten und neunten
Jahrhundert verdeutlichen die Sprachwurzeln. Auch damals schon "luste" man
auf und sprach vom "Stadal". "Wir können also stolz auf unsere Sprache
sein, denn was wir reden, hat Hand und Fuß", betont Kanz. "Wir brauchen
uns für nichts entschuldigen." Die Zuhörer lachen. Keiner sieht danach
aus, als ob er sich für irgendetwas schämen würde. Aber trotzdem: Eine
Zuhörerin bedankt sich artig für diese quasi historische Bestätigung.
Der bairische Sprachraum erstreckt sich von Klagenfurt in Österreich
bis kurz vor Bayreuth und von München bis hinter Wien. Rund 15 Millionen
Menschen sprechen nord-, mittel- oder südbairisch. Unzählige Abweichungen
sind für verschiedene Gegenden charakteristisch. Zum Vergleich:
Tschechisch sprechen nur 9 Millionen Menschen, Finnisch sogar nur fünf
Millionen. Und das Hochdeutsch? Dann die Ungeheuerlichkeit: Die
Sprache, die bei Hannover gesprochen wird, ist kein Hochdeutsch, sondern
lediglich ein Schriftdeutsch ohne Dialekt. Alles nur ein Irrglaube. Aber
für mich als waschechte Hannoveranerin wird es noch schlimmer: Es ist
sozusagen ein verkümmertes Bairisch. "Das Deutsch, das im Raum Hannover
gesprochen wird, fußt zum Teil auf der bairischen Sprache." Von wegen
Hannover sei die einzige Region, in der Hochdeutsch gesprochen wird. "Das
ist ein nicht ausrottbares Vorurteil", erklärt Kanz. Tiefpunkt
erreicht? Falsch: "Der bairische Dialekt ist dem Hochdeutschen weit
überlegen", schildert Kanz weiter. Die vielschichtigen
Anwendungsmöglichkeiten machen es aus: So gibt es für "er daad kemma" im
Norddeutschen nur schwer eine Entsprechung. Ich gebe mich
geschlagen. Bei der Sprachfindung für Nachschlagewerke saßen eben keine
bayerischen Sprachwissenschaftler dabei. Norddeutsche Varianten wurden zur
Norm erklärt. Ein Beispiel: das Wort Butter. Laut Duden die Butter, im
Bairischen der Butter. Ein Blick zu den europäischen Nachbarn zeigt, dass
die spanische und die französische Sprache Butter mit maskulinem Artikel
versieht. Und was ist jetzt mit dem Wort "droa"? "Das Zahlwort drei
lautete im Mittelhochdeutsch nicht drei, sondern ,driu'", sagt Kanz. "Aus
diesem Zwielaut ,iu' wurde im Laufe der Zeit kein ,oa', sondern ein ,ei'."
Deswegen Drei. Aber ich werde es wohl nicht mehr lernen. Johanna
Krauskopf