Beobachtungen und Überlegungen

zur aktivierten Bairischen Sprache bei einheimischen und ausländischen Schülern zwecks Vertrautheitsbildung

von Hans Krimm, Dipl.Psych., Kinderpsychologe, Psychotherapeut

 

Dies kann keine umfassende Abhandlung mit theoretisch-wissenschaftlichem Anspruch sein, da dazu die zeitlichen und quantitativen Voraussetzungen einer großen Auswahl von Personen fehlen. Eine Darstellung von eventuellen Sprachtypen oder gar eine Tabellierung der Fragen und Antworten kann aus ökonomischen Gründen nicht geschehen. Ich stelle also nur eine kleine Stichprobe (aus diesjährig ca. hundert Kindern und Jugendlichen) vor und Kurzerfahrungen der Anwendung von Bairisch anhand einiger schwererziehbarer Schüler. Es sind keine Fallstudien. Der Fall wird nur kurz skizziert, um den sozialen Hintergrund, die emotionale Not und die Notwendigkeit des flexiblen Zugangs einsichtig zu machen. Dabei ist „Bairisch“ ein zusätzliches Therapeutikum zur Wahl, um keine Mißverständnisse eines „einseitigen“ „hybriden“ Gebrauchs und einer fachlichen Inkompetenz u.ä. aufkommen zu lassen. Es handelt sich also um eine kleine Empirie (bzw. Erfahrungsgrundlage) und sollte Gedanken anregen.

Im übrigen klebt an meiner grünen Dienst-Tür eine große blaue bairische Einladung (entnommen einer Programm-Schrift des BR)

 

 

Do schau her“.

 

 

Da die Kinder und Jugendlichen oft nur in „Kürzel“( r. code) reden, geschweige denn, mehr als einen Satz anwenden (Pisa lässt grüßen!) oder bei mehreren zuhören („halt mir keinen Vortrag!“...wobei ich trotz allem das Sie verlange, da das „Du“ allein hier eher eine falsche Vertrautheit erzeugt), überlegte ich, wie ich Antworten oder Bilder finden könnte, die einen komprimierteren-vitalen Gefühlsinhalt (und entsprechenden Assoziations-Hof) haben, um an ihr Gefühl ranzukommen bzw. zum Gefühlsausdruck zu animieren. Ich muß bei vielen Schülern die übliche Dialog-Unfähigkeit überwinden, die hierzulande mit allgemeiner Proletarisierung von Groß und Klein (incl. öffentlichem Spucken, Wegwerfen, Rumpöbeln...) Spracharmut, Ausdruckseinfachheit und nonverbal-aggressiver „Verständigung“ usw. einhergeht. Auch überlegte ich, eine rel. Entspannungssituation (statt anderer Verfahren) zu schaffen, die im Gegensatz zu den vielen Ansprachen sind, die die Kinder hatten und als „Verhöre“ interpretieren und sich von daher schon innerlich abschotten. Man muß auch seinen Klientenstamm pflegen und halten, sonst heißt es:“ zu dem geh ich nicht/nie mehr....“ Diese Kontaktpflege beginnt schon mit einem kurzen Gruß, wobei ich auf das übliche nichtssagende  „Hi“ und „Hallo“ mit einem (modern gesagt) „small talk“ einsteige und bei bestimmten komplizierten Kindern (die ich auch außerhalb der Therapie treffe) schnell überschlagen muß, ob eine bairische Bildersprache eingebaut wird. Jedenfalls ersetze ich den Mode-Gruß mit tageszeitlich angepassten Gruß- und Anstandsformeln, wie sie es in Bayrisch ja gibt z.B. : „ host guat gschlafn... Malzeit, loß das schmeckn, servus, pfiat di....host no wos vor?....“  dies alles ist Aktivierung der Mundart, natürlich besonders in der Therapiesituation.

Auch halte ich dafür, dass die romanischen Sprachen und das vokalreiche schwingende Bairisch wohl angenehmer für die Gehirnverarbeitung sein dürften (vgl. Gehirnforschung mit Mozartmusik gegenüber einer krätzigen- technisch künstlich hochgegeilten MG-Musik...) als z.B. eine durch die gefletschten Zähne gepresste schwingungsarme Droh- und Wild-West-Sprache mit inhuman-quantitativem-profitlich-technisch-mechanistischem Denken: “ne´ Menge Geld...volle Ladung in die Visage...“ .- Zur Sprachkultur sei noch gesagt, dass sogar in den Medien und sogen. Gutachten der Kurzsatzbau und die Gassensprache hoffähig sind, wenn Nachrichten Sätze bringen wie „:er flog aus dem Amt“, Star XY „wurde wegen Klauen im Markt angezeigt und haute ab“.... Wenn schon dem Bairisch Primitivität und Hinterwäldlerisches vorgeworfen wird, sollten die Leute ihre eigene sprachliche Unkultur und den Wortschatzmangel ( ihre „Beschränktheit“ z.B. auf Konsum-Begriffe und Modeworte....sich erstreckend) erst ansehen.

 

Fallbeispiele:

 

1.      Ein Großstadtkind, 9- jähriger Bub Dave (z.Z. englischer Modename, häufig im Heim, wie das „Cavin“,- die „Alexander“ haben wohl aufgehört) mit bayrischen Eltern, die ihn abstießen (nahmen sich lieber ein Pflegekind dazu), ist mit sich äußerst unzufrieden, z.B. empfindlich besonders auf seine roten irischen Haare und die helle Haut, und redet grundsätzlich Schriftsprache und sagt z.B. beim Spicker-Spiel: „ ich hab sie alle drei getroffen“. Erst auf meine (aktivierende) bayrische Kommentierung zu einem Wurf „der war oba fest drin“( wobei ich seine verhaltene Wut mitansprechen wollte), bestätigt er auf Bairisch seine Entschiedenheit: „ i woit do eine“. Er kann auch bei anderen Gelegenheiten im Spiel auf Bayrisch einsteigen. Als ich auf seine übertriebenen Video- PC-Games- und Fernseh-Fantasien ( mit Weltraumkriegen,- er zeichnet mir meist überdimensionale Angriffs-Raketen und redet in Rachefantasien von Granaten usw....) eingehe und er diese wild bei einem Spiel einbaut, sage ich spontan und mit m.o.m.versteckter Absicht in Bairisch: „ So a narrischa Deifi“(wobei ich ja auch das „arme Deifi“ mitklingen lassen wollte). Er ist nicht beleidigt , sondern sieht sich damit anschaulich getroffen und bestätigt überraschend. „jo, i bin a narrischa Deifi“, wobei auch sein Verlassenheits-Schmerz, der ihn wild macht, mitschwingt. Auf der hochdeutschen Zugangs-Ebene verweigerte er immer die Arbeit an seinem Gefühl und flüchtete auf Hochdeutsch in seine Horror-Fantasiewelten (wie sie ja den Kindern zwecks Verrohung reichlich angeboten werden) und in falsche Romantik, z.B. wie gern ihn doch die Eltern hätten und welches Liebesgeschenk er ihnen machen solle usw. Die Angst eines potentiellen „Erfurter Modells“ ist in uns, ich möchte aber anderweitige und übliche „Glücks-Pillen“ (noch?) vermeiden und alles versuchen. Auch eine Pflegefamilie steht an usw.

 

2.      Ein 10-jähriger, gut deutschsprechender, intelligent-frecher, auch teils verwahrloster ex-jugoslawischer Bub mit einem nur gebrochen deutsch sprechenden Vater hat grobe Verhaltensweisen (mit entsprechender US-Fäkalien-Sprache usw.) eines (durch Videos sexualisierten) Straßenkindes (auch buchstäbliches Straßenkind, das sich „histerisch“ mitten auf die Straße „platzt“...). Er sitzt eines Tages mit den anderen beim Abendessen und frägt mich in Hochdeutsch wieder mal ironisch (diesmal über das Nicht -Mc Donalds-Essen unzufrieden –lästernd), ob ich so viel essen könne und warum mir nicht schlecht würde. Darauf frage ich ihn, ob er mir seine Meinung nicht in Bairisch sagen könne. Er bringt darauf ein grob-bairisches. Klischee: “hoit´s Mei, du Arschl“. Alles lacht. Offensichtlich ruft das Essen eher eine grobe Bierzelt-Sprache hervor, auch evtl. die Plötzlichkeit meiner Aufforderung. Später schiebt er wiedergutmachend ein gemäßigtes Bairisch nach: „hot´s gschmeckt?“---Als er in meinem Zimmer aus einer Schuhschachtel mit ca. 200 Farbfotografien aufgelöster Alben sucht, findet er Sammel- Tierfotos eines Zoos : Pinguin, Giraffe, Elefant usw. Beim Nashorn entdeckt er sofort das teilweise abgebildete Geschlechtsteil und schreit-kichert-lacht-quietscht usw. Ich kommentiere: “I glaub, du vertrogst des Foto net recht, des nimm i wieda, sonst machst olle in der Gruppn narrisch.“ Er antwortet in Hochdeutsch: „ich versprech Ihnen, dass ich das nicht mache“. Ich stell mich ungläubig-taub, so daß er in Bairisch verstärkend sagt: “i versprech, daß i koan Blädsinn mach“ ( klingt das nicht etwas vertrauensvoller?). War übrigens ohne doppelte Verneinung (duplex negatio...). Seine Spässe sind öfters auf Standard-Bairisch wie „ Auf da Oim  do steht a Kua, machts A-loch auf und zua“; bei Freude sagt er öfters neben dem „Alleluia“ auch „Sacklzement“ und „leck mi a. O.“ also eher mit derbem Bauerntheater – und Folklore-Inhalt. Er grüßt inzwischen aber oft im netten Bairisch..

 

3.      Bei einem der wenigen echten Niederbayern, der alles in Bairisch spricht, ist natürlich die Kommunikation fließend und inzwischen herzlich. Besonders wurde er anfangs, beim ersten Treff nach der Neuaufnahme, bei dem er sehr abweisend und quengelig-frech war, und gleich in den ersten Minuten zur Tür ´raus wollte, mit Bayrisch locker-lässig (heute sagt man –cool-) behandelt, besonders aus der Handwerk-Sprache, da er mir kurz von der väterlichen Werkstatt was sagte, bzw. ´raus ließ. Seitdem taute er schnell auf und lobte bei den Eltern (die es mir beim Elterntag sagten): „ bei dem is wos los....der werklt ah rum....“

 

4.      Ein sehr trotziges Münchner-Kindl T., ein 8-einhalb-jähriger Sohn einer Alleinerzieherin, u. a. Bettnässer, Hausaufgabenverweigerer, lt. Kameraden ein unbeliebter „Petzer“, Zerstörer von Spielsachen anderer und Mobiliar usw., redet nur Hochdeutsch (Mutter gepflegtes-veredeltes Bairisch und Hochdeutsch). Er selbst gibt auf meine Frage an: „Ich will nicht Bairisch reden...weil meine Eltern es nicht tun...weil es blöd klingt wie `geh owe´ 

Der Zugang zu ihm ist oft schwierig. Um ihn zum emotionalem Reden zu provozieren, z.B. als er mit der Kugelbahn spielt, zweifle ich sein Können auf Bairisch an mit: „I glaub net, dass bei dir die Kugl richtig lauft“. Darauf antwortet er im Trotz (statt dem üblichen Hochdeutsch –„ich mag nicht...Ihr seid alle blöd...“) überraschend auf bayrisch : “ Des funktioniert, des sog I Eahna!“ Als ich ihn ein andermal auf Bairisch einiges zu seinem Einnässen fragte, bei dem die meisten Kinder emotional „zugedreht“ sind, unter anderem auch fragte, ob „es  heit wieda passiered“, antwortete er offener und in Bayrisch sofort: “na, i blamier mi net !“ In einer anderen Stunde sagt er , er brauche zum Ausschneiden „an Pappadecki.“ Leider bleibt auch auf mein Bairisch „Pfiat di“ sein Gruß penetrant das „Tschüß“.  Nun, ich bin froh, wenn er beim Emotionalen auf bairisch etwas erreichbarer ist, da er ja wie viele Kinder schulische, zahlreiche medizinisch-psychiatrische und heimpädagogische Belehrungen und Zurechweisungen usw. auf Hochdeutsch hört.


Bei Gutgelauntheit redet er seit neuestem bevorzugt Bairisch (vielleicht hat doch obige Aktivierung gefruchtet): “i hob heit gwonna, i nimm rout (seine Lieblingsfarbe)...,dea (Spielstein) muaß do hi ....“ Beim Verlieren ist er ein  typischer schlechter Verlierer wie viele Kinder, und schaltet bezeichnenderweise auf Hochdeutsch um.

 

5)    Ein eßfreudiger-dicker ( oft Essen bettelnder...), jähzorniger ehemaliger Förderschüler, der inzwischen mit 13 Jahren in der 6. Kl der Hauptschule ist, gemischt Hochdeutsch-Bayrisch spricht, ein Bayer aus der oberbayrischen Inngegend wie seine Eltern ist, macht viele Sorgen. Seit langer Zeit versuch ich, mit Bairisch an sein Gefühl ´ranzukommen, zu dem er sich nie äußert und nach dem jeweiligen „Tobsuchtsanfall“ meist nur bockig „ weiß nicht „ sagt.

Bei einem späteren Autobahnspiel in meinem Zimmer sieht er meine Limoflasche stehen und bettelt in Bairisch: „i hob ah an Durst“. Später bietet er in Deutsch ein „Geschäft“ an: „möchten Sie von mir eine Kugel (für die Kugelbahn) geschenkt haben?“-- Als er eine Bahn zusammen setzen soll und dies in Ungeduld nicht recht kann, sagt er geringschätzig öfters: „Des is a Graffi“.-- Beim zweiten Betteln redet er wie ein Anstands-Wauwau hochdeutsch: „bekomm ich bitte eine Nuß“ (als er die Wahlnüsse im Korb sieht). Beim gutgelaunten Abschied sagt er erst das übliche“ Tschüß“. Ich frage, ob es auch anders ginge, er antwortet übertrieben laut-pointiert: „Pfuit Di“.-- Einen winzigen Einblick in sein Gefühl, das auch aus


Rivalität zu seiner größeren, daheimgebliebenen, frech-intelligenteren Schwester besteht, gewährte er mir mit einem kurzen Kommentar, er lerne mit ihr Englisch „ nur zwei Sekunden“. Bis jetzt konnte er auf bairische Aktivierung wenigstens mehr lächeln, also Lockerung und Vertrauen zeigen. Er scheint ablehnende, („böse“) Gefühle eher in Schriftdeutsch erfahren zu haben und somit zu bringen, da er wohl seit früher Kindheit viele teure sonderpädagogische und psychiatrische „Maßnahmen“ hatte“ (arme Gesundheitsreform?).

 

6)    ein 10-jähriger Österreicher  bleibt seiner Sprache treu, ohne Scheu!

Er verwendet sie allgemein (natürlich im Alltag, nicht so sehr in der Schule). Dieser Fall (von mehreren Österreichern) wird somit nur kurz eingeschoben, um sich ein gewisses Beispiel an Selbstbehauptung (entgegen böswilliger ,auf die Sprache abzielender Österreicher-Witze) zu nehmen. Zwanzig Österreicher der vielen Jahre blieben größtenteils bei ihrer Sprache.

 

7)    einige klangmalerische emotionsgeladene Worte ehemaliger Fälle:

Ein ehm. reichenhallerischer, verlassener Alleinerzieherin-Bub erinnert mich noch heute nach 10 Jahren an seine bairisch komprimierte emotionale Zustandbeschreibung, die kein anderes Kind mehr anwandte: „mia geht’s misarabi“.

Ein anderes Wut-Kind mit Epilepsieverdacht erinnerte mich immer mit einem fast bedrohlichen Satz an seine Stunde mit ihm, daß ich sie ja nicht ausfallen ließe:“ werst scho seng, wer heit zu dir kummt!“ ...Jawohl! das „U“ klingt wie ein Paukenschlag oder Schlag an die Tür.

Ein anderes Kind drückte seine Wut wegen Lese-Rechtschreib(-Schwäche)-Training auf mich mal aus mit: „I kill di“. Das ist Beziehungsklärung,- bairisch-englisch.

Ein depressiv reagierender Sonderschüler und Bäckerlehrling, der u.a. das Bretzenwerfen nicht zusammenbrachte, murmelte nur noch : „i schwoab mi ins Klo runta“. Kann man das mit einer anderen Sprache emotional bildhafter-vitaler und komprimierter ausdrücken?

 

8) und 9) Ein bald 14-jähriger, rel. gut deutsch sprechender Türke (von deutschsprechenden Eltern aus München) versteht Bairisch, wendet es aber nicht an. Zum Schimpfen und Drohen aber, so meint er, sage er: „wos mechst?—Sakra-  so bled....“. Er grüßt mit seinem afrikanischen Freund im Vorbeigehen verschmitzt mit „Pfiat di“ und „Servus...“

Der 14-jährige Afrikaner J. erklärt mir, was er inzwischen mit „servus“ verbindet: „Servus, immer schön cool bleiben“. Als ich ihn zur Radwerkstatt einlade: „Jimmi, heit deama Radl richtn, mogst mitmacha?“ antwortet er lässig (kurz natürlich): „ jo, klar“. Und er „werkelte“.

 

Bis jetzt bezeichnete (offen?) keiner von den ausländischen Schülern das Bayrisch als primitiv, vielleicht abhängig von Personenbezug, Kontext und Einsatz.

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FBSD-RUNDBRIEF NR. 50. Juni 2004             Seite 25-29